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Richter Friedrich Forsthuber im Gespräch
 
       
       
Friedrich Forsthuber

Präsident des Landesgerichtes für Strafsachen Wien

Gesellschaft
09.08.2021
Friedrich Forsthuber ist Präsident des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, Österreichs größtem Landesgericht. Seine berufliche Karriere umfasst mehr als drei Jahrzehnte als Richter – unter anderem am Bezirksgericht Döbling, am Oberlandesgericht Wien und eben am Landesgericht für Strafsachen Wien. Außerdem ist er Obmann der Fachgruppe Strafrecht innerhalb der Richtervereinigung sowie des Vereins »Justizgeschichte und Rechtsstaat«, der zum Ziel hat, allen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten Bedeutung und Werte des demokratischen Rechtsstaats und der Europäischen Union näher zu bringen.

Möchten Sie mit »Euer Ehren« angesprochen werden?

Nein, das wollte ich nie! 

Warum nicht?

Ich finde, das ist so klischeebehaftet. Das Häufigste, das man in Österreich zu Richtern oder Richterinnen sagt, ist »Herr oder Frau Rat«. Klingt aufs Erste vielleicht ein wenig ungewohnt, gefällt mir aber wesentlich besser als »Euer Ehren«. Das kennen wir vor allem aus angloamerikanischen Filmen. 

Ich würde Ihnen gerne eine Frage stellen, die ich letztens auch der Leiterin der Justizanstalt Wien-Josefstadt, Krista Schipper, gestellt habe: Wie erklären Sie in einfachen Worten den Unterschied zwischen »Recht haben« und »Recht bekommen«?

Recht haben nach dem Motto »Ich habe ja recht« ist das subjektive Empfinden des Einzelnen. Das hat man, wenn man in einer persönlich wichtigen Angelegenheit das Gefühl hat, im Recht zu sein. Das Gefühl kann einen aber trügen. Selbst wenn man objektiv gesehen recht hat und im Recht ist, heißt das nicht immer, dass man Recht bekommt. Nicht weil die Institutionen versagen würden, sondern weil Richterinnen und Richter nur eines wirklich bieten können und müssen: ein faires Verfahren, in dem nach bestem Wissen und Gewissen ein Urteil gefällt werden kann aufgrund der Beweise. Natürlich ist unsere menschliche Wahrnehmung aber auch beschränkt, womit richterliche Entscheidungen auch falsch sein können. In dem Fall kann institutionell die Rechtsmittelinstanz prüfen, ob die Begründung des Gerichts nachvollziehbar und schlüssig ist. Wenn dem so ist, ist das in einem Rechtsstaat zu akzeptieren. Das gilt auch nach der Prüfung von Gesetzen durch den Verfassungsgerichtshof. Das ist eine bindende Entscheidung, auch für all diejenigen, die in der Politik tätig sind. Egal, ob ihnen diese Entscheidung genehm erscheint oder nicht. 
Im Interview: Richter Friedrich Forsthuber

In der politischen Debatte der vergangenen Wochen und Monate wurden rechtliche Organe wie der Verfassungsgerichtshof von Politikern kritisiert. Die einen sagen, dass das im Rechtsstaat erlaubt sein müsse. Die anderen meinen, dass das der erste Schritt sei, um den Rechtssaat auszuhöhlen. In welcher Art und Weise ist Kritik von öffentlichen Persönlichkeiten an Gerichtshöfen oder einzelnen Richtern gerechtfertigt und wo geht es zu weit?

Natürlich kann man an Entscheidungen der Justiz Kritik üben, überhaupt keine Frage. Dies muss aber in einer Form geschehen, in der die Institutionen nicht als solche in Frage gestellt werden. Politiker haben Vorbildwirkung und sollten nicht suggerieren, dass in der Justiz unsachliche oder parteipolitische Entscheidungen getroffen würden. Kritik sollte daher konstruktiv, sachlich und differenziert sein – das ist sogar erwünscht! Unterstellungen hingegen sind schädlich. Das wird von manchen Teilen der Politik manchmal nicht erkannt. 

Kann man solchen Debatten vielleicht vorbeugen, indem man von der Politik nicht en passant in die Position des Richters wechseln darf? Beispiel: Wolfgang Brandstetter. Vielleicht sollte zwischen solchen Positionen eine Legislaturperiode liegen, um weit genug von politischen Machtkreisen entfernt zu sein. 

In dem Fall geht es um einen Richter des Verfassungsgerichtshofs. Diese werden anders bestellt als bei Zivil- oder Strafgerichten. Das Vorschlagsrecht beim VfGH haben der Nationalrat, die Regierung und der Bundesrat – also politische Institutionen. Das heißt aber nicht, dass alle ernannten Richterinnen und Richter parteipolitisch punziert sein müssen! Natürlich kann man nun sagen, dass jemand, der gerade noch Minister war, vielleicht eine fünfjährige Abkühlungsphase hinter sich haben sollte, bevor er zum Verfassungsrichter vorgeschlagen werden kann. Nur: Was soll das bringen? Wenn er einer politischen Partei sehr nahesteht, wird er das nach fünf Jahren wahrscheinlich auch noch. Oder er war vorher schon nicht so punziert, dann wir er es nachher auch nicht sein. Daher finde ich eine fünfjährige Pause für einen Verfassungsrichter nicht unbedingt notwendig, wenngleich ich auch nichts dagegen hätte.

Durch Ihre Positionen – Präsident des Straflandesgerichts Wien und Obmann der Fachgruppe Strafrecht – und Ihre langjährige Tätigkeit als Richter sind Sie wahrscheinlich einer der profiliertesten Juristen des Landes.

Das ist übertrieben. Ich finde, dass man durch solche Attribute auf Podeste gehoben wird, auf denen man gar nicht stehen möchte. Ich engagiere mich sicherlich für das Ansehen der Justiz, für die Demokratie, Menschenrechte und den demokratischen Rechtsstaat – das ist mir wichtig!

Können Sie sich aufgrund Ihrer Erfahrung und Ihres Engagements vorstellen, dass eine Ihrer nächsten beruflichen Stationen die Position des Justizministers ist?

Nein. Man muss wissen, was einen interessiert und was man will. Das Reizvolle einer Ministertätigkeit ist immer, etwas politisch gestalten zu können. Aber es wäre blauäugig zu glauben, dass man wichtige Vorhaben der Justiz umsetzen oder vorantreiben könnte, wie man es für erforderlich hält, nur weil man Justizminister ist. Man ist schließlich eingebettet in alle möglichen Interessen. Der Minister kann ja nicht alleine entscheiden, in welche Richtung der Maßnahmenvollzug oder der Strafvollzug gehen soll und welche Akzente gesetzt werden müssen. Letztlich wird das durch Parteigremien vorgegeben und im Koalitionsabkommen festgehalten. Die Einflussmöglichkeiten sind keineswegs die, die man sich erträumt, wenn man dieses Amt anstrebt. Ich habe allerdings großen Respekt vor allen, die dieses wichtige Amt ausfüllen.
»Die Politik muss sich genauso dem Recht unterwerfen wie jeder einzelne Bürger«

Herbert Kickl hat 2019 in seiner Funktion als Innenminister gesagt, dass er der Meinung sei, dass das Recht der Politik zu folgen habe und nicht die Politik dem Recht. Was waren damals Ihre Gedanken?

Das waren nicht nur Gedanken, wir haben damals Stellungnahmen dazu abgegeben. Kickl hat es dann relativiert, indem er gesagt hat, dass politische Parteien im Gesetzgebungsprozess die rechtlichen Vorgaben in Form von Gesetzen beschließen. 

Womit er recht hat.

Das ist richtig, ja. Wenn man es rein formal sieht, ist es richtig. Was man aber mitschwingen gehört hat, war weniger dieser formale Ansatz, sondern: Wenn sich für einen Politiker herausstellt, dass die rechtlichen Vorgaben – die ja von der Politik kommen – zur aktuell angestrebten Lösung eines Problems nicht ausreichen aus der Sicht eines Politikers, dann müsse sich das Recht dem anpassen. Und das stimmt so nicht! Was möglich ist: Gesetze zu ändern, wenn sich Mehrheiten im Nationalrat dazu finden. Ohne Gesetzesänderungen die rechtlichen Vorgaben so hinzubiegen, damit sie einem politischen Ziel dienen, ist falsch. Insofern ist es falsch, dass das Recht der Politik zu dienen hat. Die Politik muss sich genauso, wenn das Recht geschaffen ist, dem Recht unterwerfen wie jeder einzelne Bürger. Dass das Recht durch die Politik verändert werden kann, ist eine andere Sache.

Sehen Sie aktuell Tendenzen der Vereinnahmung der Justiz durch die Politik?

So wie wir es in Polen und in abgeschwächter Form in Ungarn erleben, ist es in Österreich nicht der Fall. Was wir aber jedenfalls brauchen, ist eine Bildungsoffensive. Der demokratische Rechtsstaat ist ein Gesellschaftsvertrag, und es ist ein Privileg, darin zu leben! Er braucht Menschen, die für ihn brennen, um ihm immer wieder eine Auffrischung zu geben. Österreich zählt laut Democracy Index der Zeitschrift »The Economist« zu den gefestigten demokratischen Rechtsstaaten – darunter werden 2021 nur mehr 23 Staaten angeführt. Ein Kriterium bei der Bewertung ist politische Bildung, dabei schneidet auch Österreich nicht gut ab. Ohne politische Bildung droht demokratischen Rechtsstaaten das Scheitern. Man ist nur bereit, etwas zu verteidigen, wenn man es auch versteht und schätzt.
»Ohne politische Bildung droht demokratischen Rechtsstaaten das Scheitern«

Um einen Schritt weg von der Politik zu machen: Wie würden Sie die Würde des Menschen beschreiben? Es handelt sich um einen geflügelten Begriff, der von den meisten Menschen ad hoc wahrscheinlich nicht definiert werden kann. Und wenn man sich den Umgang mit alten Menschen am Lebensende ansieht oder mediale Bilder der Flüchtlingskrise, hat man das Gefühl, dass es sich um eher unwürdige Bilder handelt.

Es gibt dazu ein Buch von Ferdinand von Schirach mit dem Titel »Die Würde ist antastbar«. Das Buch kann ich jedem nur ans Herz legen. Wenn wir uns die Nachrichten anschauen, handeln 80 Prozent davon, wie die Würde des einzelnen Menschen und von Gruppen angegriffen wird. Wenn Sie mich fragen, ist die Würde eines der schönsten Wörter der deutschen Sprache. Aber was ist die Würde? Eigentlich nichts anderes als das Recht des Individuums auf Respekt vor seiner Individualität. Es geht um das Recht auf Begegnung auf Augenhöhe durch andere Menschen und staatliche Institutionen. Von Machtpolitikern in Diktaturen wird die Achtung der Würde des Menschen oft als große Gefahr für den Bestand der Diktatur angesehen. Aus der Sicht einer Diktatur steht nicht die Würde des Individuums, sondern der Bestand der Gruppe im Vordergrund. Bei der Würde des Einzelnen spielen die Menschenrechte eine wesentliche Rolle. 

Ist jemand, der würdevoll ist, dann gleichzeitig auch menschlich?

Wenn jemand würdevoll schreitet, hält sich die Person an eine bestimmte Etikette. Ein würdevolles Leben hingegen betrachte ich als positiv konnotiert. In einem würdevollen Leben nützt man seine individuellen Fähigkeiten sinnvoll. Wir könnten jetzt auch über ein würdevolles Sterben reden. Wann ist das Sterben würdevoll? 

Solange eine gewisse Selbstbestimmung vorhanden ist.

Die Frage ist, wie weit Selbstbestimmung geht und wie weit das Recht auf Sterbehilfe. Kann ein 19-Jähriger, der aus Liebeskummer meint, sich umbringen zu müssen, zu seinem Arzt sagen, dass er ihm eine tödliche Spritze geben soll, weil er ohne seine Freundin nicht weiterleben will? Oder wäre es im Sinne der Würde des 19-Jährigen besser, wenn der Arzt diesem Wunsch nicht nachkommt, weil es sich um eine Kurzschlussreaktion handelt? Gerade bei der Sterbehilfe muss man also aufpassen – auch die Selbstbestimmung betreffend! Die Beispiele, die meistens genannt werden, sind Schwerkranke, die unter extremen Schmerzen leiden und eines qualvollen Todes sterben werden und daher die Möglichkeit haben wollen, würdevoll aus dem Leben zu scheiden. Seitens der Politik müssen klare Vorgaben gemacht werden, unter welchen Gesichtspunkten eine Beihilfe zum Selbstmord straflos ist.
»Die Würde des Menschen ist das Recht des Individuums auf Respekt vor seiner Individualität«

Womit wir wieder bei der Politik wären. Haben Sie in Ihrer über 30-jährigen Karriere als Richter jemals – egal in welcher Form – den Versuch politischer Einflussnahme wahrgenommen?

Mir gegenüber?

Ja, bezogen auf Ihre Urteile.

Parteipolitische Einflussnahmen habe ich nie wahrgenommen. Weder in meiner Tätigkeit als Richter noch in meiner Tätigkeit in der Justizverwaltung. Was ich gelegentlich wahrgenommen habe, zum Beispiel bei einem früheren Kabinettsmitarbeiter im Justizministerium, ist, dass manche mit einigen Äußerungen meinerseits nicht immer ganz glücklich waren. Dies betraf Aussagen in meiner Position als Obmann der Fachgruppe Strafrecht. Die Kritik daran war, dass ich je nach Aussage mal den Hut des Präsidenten des Straflandesgerichts Wien und mal den Hut des Obmanns aufsetze – je nachdem, wie es für mich gerade passt. Ich habe jedoch nie eine meiner Positionen dazu missbraucht – nicht mal ansatzweise –, um meine Person oder Funktion in den Vordergrund zu rücken. Es ging immer um die Positionierung von Themen, die für die Justiz wichtig sind.

Sie haben am Anfang unseres Gesprächs über Fairness in Verfahren gesprochen. Wenn wir zu Justitia kommen, der römischen Gottheit für Gerechtigkeit, dann urteilt diese objektiv und neutral, und lässt dabei die eigene Sichtweise außen vor. Gleichzeitig wissen wir, dass es 100-prozentige Neutralität und Objektivität nicht gibt.

Es kann immer nur um das Bemühen gehen. Das muss stets vorhanden und spürbar sein, und das muss ich von einem Richter auch verlangen können, und zwar vom ersten Tag seiner Tätigkeit an bis hin zu seiner Pensionierung. 

Wie sollen Richter dem Bemühen von Justitia entsprechen, wenn es um öffentlichkeitswirksame Fälle geht, wie zum Beispiel Karl-Heinz Grasser oder Heinz-Christian Strache? Jeder hat doch eine einschlägige Meinung zu diesen beiden Herren – egal, ob positiv oder negativ.

Zur Frage »schuldig oder nicht schuldig« habe ich keine Meinung. Diese Meinung kann man nur in einer Verhandlung bilden. Problematisch ist es, wenn es Vorverurteilungen gibt, bevor der Prozess überhaupt begonnen hat.

Mediale Vorverurteilungen?

Ja, und ich kann es schon fast nicht mehr hören, wenn am Ende von Berichten gesagt wird, dass alles unter Wahrung der Unschuldsvermutung berichtet wurde. Und davor werden zehn Sätze gesagt, die die Unschuldsvermutung völlig negieren. Das ist ein Paradoxon, mit dem wir leben. Manche Medien gestalten einen Bericht so klar, dass hervorgeht, dass jemand für schuldig gehalten wird. Und nur weil sie diesen Satz mit der Unschuldsvermutung sagen, glauben sie, dass es etwas daran ändert. Es handelt sich dabei um einen Missbrauch des Begriffs »Wahrung der Unschuldsvermutung«. Es ist auch ein Irrtum zu glauben, dass man als Richter schon vor Prozessbeginn eine vorgefasste Meinung hätte. Zu einzelnen Aussagen kann ich nach dem Aktenstudium vielleicht schon eine Meinung haben, die Frage der Schuld klärt sich aber erst im Zuge der Hauptverhandlung.

Wie oft haben Sie nach einem von Ihnen ausgesprochenen Schuldspruch die Richtigkeit Ihrer Entscheidung angezweifelt?

Wenn ich den Schuldspruch bezweifeln würde, dürfte ich keinen Schuldspruch tätigen.

Nicht davor oder währenddessen, sondern tatsächlich im Nachhinein, weil Sie sich danach gefragt haben, ob Sie vielleicht etwas übersehen haben.

Selbstreflexion ist immer wichtig, tatsächlich fällt mir aber nichts Konkretes ein, wo ich mir dachte, dass ich völlig danebengelegen wäre.

Und wie oft haben Sie schon Gesetze gebrochen oder Kavaliersdelikte begangen?

Was verstehen Sie darunter? Bei Rot über die Kreuzung zu gehen?

Zum Beispiel. Oder vielleicht haben Sie auch mal den berühmten Joint als Jugendlicher geraucht.

Den Joint habe ich nie geraucht. Ich bin als Jugendlicher nicht mal bei Rot über die Kreuzung gegangen, auch wenn das jetzt etwas schrullig klingt. Mittlerweile mache ich das gelegentlich schon, wenn überhaupt kein Fahrzeug kommt. Es ist also nicht so, dass ich niemals irgendeine kleine Verwaltungsübertretung begehen würde. Das kann wahrscheinlich niemand von sich sagen. Gerichtlich strafbare Handlungen setze ich natürlich keine.
Im Gespräch mit Richter Friedrich Forsthuber

Ich würde noch einmal gerne kurz zur Politik zurückkommen. Vor Kurzem hat ein einmaliger Prozess in der Zweiten Republik stattgefunden. Bundespräsident Van der Bellen hat aufgrund eines Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs das Straflandesgericht Wien zur Exekution des Finanzministeriums beauftragt, um fehlende Akten für einen Untersuchungsausschuss zu beschaffen. Können Sie diesen Vorgang beschreiben? Wie genau kommt man solch einem erstmals ausgesprochenen Auftrag nach?

Ich kann Ihnen gerne die formalen Abläufe darstellen, möchte aber ansonsten nicht zu viel dazu sagen, weil ich selbst in die Sache eingebunden war. Manches, was in der Medienöffentlichkeit kolportiert wurde, ist so im Auftrag überhaupt nicht drinnen gestanden. Es ist anfänglich so transportiert worden, als ob das Gericht zu prüfen hätte, ob vollständig geliefert wurde. Das war nie der Auftrag, der vom Bundespräsidenten ausgesprochen wurde. Wenn das der Auftrag gewesen wäre, hätte sich das Gericht alle Papierunterlagen ansehen müssen, die bereits geliefert waren, um sie mit denen zu vergleichen, die im Rahmen der Sicherstellung übermittelt wurden. Ich glaube, es ist nachvollziehbar, dass der Auftrag dann im vorgegebenen knappen Zeitraum nicht mal denkmöglich erfüllbar gewesen wäre. Es war daher auch nicht zu prüfen, ob der Bundesminister für Finanzen seinem Auftrag vollinhaltlich nachgekommen ist. 

Der Auftrag an sich war ganz klar definiert: die Unterlagen sicherzustellen, wie sie im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs aufgelistet waren. Das waren vor allem empfangene E-Mails von bestimmten Personen und im Fall von drei Mitarbeiterinnen auch lokal gespeicherte Daten. Der erste Schritt war also die Sicherstellung, und der zweite Schritt war die Sichtung der rund 13.000 Dateien dahingehend, ob darunter Dateien rein privater Natur sind. Wenn in einer Mail etwas Privates und Berufliches gestanden ist, war sie also nicht rein privat. Diese rein privaten waren auszusortieren und zu löschen. Der Rest war dem Untersuchungsausschuss zu übermitteln. Das war der Auftrag, und die beauftragte Richterin konnte sich Unterstützung holen und entsprechende Experten zur Umsetzung beiziehen. Ungefähr eine Woche hat die Sicherstellung gedauert und ungefähr eine weitere Woche die Sichtung. Etwas mehr als 14 Tage haben knapp 20 Personen aus unterschiedlichen Bereichen an dem Auftrag als Team zusammengearbeitet und ihn erfolgreich abgeschlossen. Dem Bundespräsidenten war im Zuge der Bundesexekution auch wichtig zu zeigen, dass die Verfassung und ihre Institutionen funktionieren. Ich glaube, dass das gut bewältigt wurde. 

Warum haben Sie sich auf Strafrecht spezialisiert und nicht auf Menschenrechte, Familienrecht, Zivilrecht, Steuerrecht, Wirtschaftsrecht oder Arbeitsrecht? Und: Würden Sie sich mit dem Wissen, das Sie heute haben, nochmals dafür entscheiden?

Die zweite Frage kann ich sofort mit einem Ja beantworten.

Angefangen habe ich beim Bezirksgericht Döbling mit Familienrecht und Mietrechtsangelegenheiten. Es gibt kaum Bereiche, die emotionaler geführt werden als Familienangelegenheiten und Mietstreitigkeiten – und das sage ich als Strafrechtler! Beide Themen betreffen die Leute perspektivisch und existenziell. 1991 ist auch das Bezirksgericht Döbling zum Vollgericht geworden, womit die strafrechtlichen Agenden vom ursprünglichen Strafbezirksgericht, das 1997 endgültig aufgelöst wurde, übertragen wurden.

Zum Straflandesgericht bin ich im Mai 1991 gekommen, da mich der damalige Präsident des Gerichts, Günter Woratsch, angerufen und gefragt hat, ob es mich interessieren würde, mich dort als Richter zu bewerben und ihn auch in Justizverwaltungsangelegenheiten zu unterstützen. Mir ist noch die Äußerung einer Kollegin in Erinnerung, die mir Folgendes gesagt hat: »Fritz, tu das nicht! Du bist für dieses Gericht viel zu weich.« (lacht) Ich habe mich dennoch dafür entschieden, auch wenn ich manchmal an die Aussage denken muss. Ich glaube eigentlich nicht, dass ich zu weich war.

Lieblings-

Buch: Ich bin ein Fan der Bücher von Ferdinand von Schirach. Zum Beispiel seine Kurzgeschichten »Verbrechen«, »Schuld« und »Strafe«. Er beschäftigt sich darin mit Fragen zur Gerechtigkeit und Rollen wie Richter, Verteidiger, Opfer und Beschuldigter.
Film: Gandhi
Song: Mir gefallen generell die Lieder von Reinhard Mey, Austria 3 und Ludwig Hirsch gut. Vor allem das Lied »Der blade Bua« von Ludwig Hirsch finde ich bemerkenswert aufgrund der Zeile »Manche Kinder kommen ohne Schutzengel auf d’ Welt und der Sandmann haut eana Reißnägel in d’ Aug’n«. Das Lied fällt mir auch im beruflichen Kontext ein, wenn wir mit Jugendlichen in U-Haft zu tun haben, die oft in ihrer Kindheit missbraucht oder misshandelt wurden.
Schauspieler/in: Ben Kingsley, Otto Schenk, Elisabeth Orth, Nicholas Ofczarek, Birgit Minichmayr 
Motto: »Stehe für menschliche Werte ein« und »Versuche, im kleinen Bereich die Welt zu verbessern«
Autor/in: Ferdinand von Schirach, Albert Camus, Stefan Zweig, Friedrich Torberg
Serie: Ich bin eigentlich kein Serienschauer, muss aber manchmal, weil meine Töchter gerne Serien anschauen. (lacht) Daher habe ich zum Beispiel »Game of Thrones« oder »The Good Doctor« gesehen. Welche ich ganz gut gefunden habe, war »Timeless« über Zeitreisen in die US-Vergangenheit. Aber meist nerven mich Serien aufgrund ihrer Länge und der Cliffhanger am Schluss der Folgen.
Stadt: Wien
Land: Ich bin ein Weltbürger und mir gefällt es überall wahnsinnig gut. Mein Leben möchte ich allerdings in Österreich verbringen.
Gericht: Wild, Tafelspitz und Fleisch generell 
Getränk: Apfelsaft gespritzt und Kombucha

Persönliches Mitbringsel

Ich habe zwei Broschüren mitgebracht. Über die 182-jährige Geschichte des Straflandesgerichts und eine Begleitbroschüre zur Ausstellung »Demokratie – Menschenrechte – Rechtsstaat« des Vereins »Justizgeschichte und Rechtsstaat«, die aktuell im Bezirksmuseum Floridsdorf stattfindet. Es geht darum, den Menschen und Schulen politische Bildung näherzubringen. Leider ist es mir noch nicht gelungen, einen Ort für eine Dauerausstellung über die Werte des demokratischen Rechtsstaats und der Europäischen Union zu finden. Wenn ich mir einen wünschen dürfte, wäre es das Wien Museum oder das Haus der Geschichte Österreich.
Zwei Broschüren des Vereins »Justizgeschichte und Rechtsstaat«

Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche

Schönstes: Emotional bewegt haben mich die Ergebnisse bei den Olympischen Spielen in Tokio. Ich finde, das liefert einen Kontrapunkt zu vielem Negativen, das wir oft von der Politik oder aus den Medien hören. Das Gros der positiven Berichterstattung kommt vom Sport. Das sollte uns vielleicht zu denken geben. Ich bin mir sicher, dass auch andere Bereiche für positive Botschaften geeignet wären. 

Negativstes: Das Gefühl einer gewissen Ohnmacht denen gegenüber, die es mit dem demokratischen Rechtsstaat nicht so haben – die polnische oder türkische Regierung zum Beispiel.

Berufswunsch als Kind

Richter

Wen wollten Sie immer schon einmal treffen?

Menschen, die ich in vielen Bereichen als vorbildhaft erachte. Manche davon habe ich bereits getroffen. Wen ich nicht getroffen habe, wer aber in diese Kategorie passen würde, ist Angela Merkel. Sie wäre sicherlich eine sehr spannende Gesprächspartnerin. In Österreich wäre ein längeres Gespräch mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen sehr interessant. Getroffen habe ich ihn schon, aber für ein längeres Gespräch hatten wir noch nicht die Gelegenheit.

Teenie-Schwarm

Hatte ich nicht.

Café-Bestellung

Kombucha

Ort des Interviews

Justizcafé
Auf dem Dach des Justizpalastes in Wien gibt es ein Café? Wissen die wenigsten, ist aber trotzdem so! Beim Justizcafé handelt es sich um eine Location mit einer der wahrscheinlich schönsten Aussichten über die Dächer Wiens. Das Spezielle, um überhaupt ins Justizcafé zu kommen, ist der Check-in beim Eingang des Justizpalastes. Hier werden sich manche an die Security-Checks vom Flughafen erinnert fühlen – Durchgangsschranken, Metalldetektoren und Abgabe von potentiell gefährlichen Gegenständen und Flüssigkeiten. Wer also ein wenig Urlaubsflair genießen möchte, ohne nach Wien-Schwechat zu fahren, muss nur in den ersten Bezirk zum Schmerlingplatz 11 gehen. Das Café wird übrigens voller Leidenschaft von Ivo Brnjic betrieben, dem früheren Chefkoch der Kantinen vom Burgtheater, dem Raimundtheater, dem Ronacher und dem Theater an der Wien.