Suche in allen Interviews
Abbrechen
Körpersprache-Experte Stefan Verra im Gespräch
 
       
       
Stefan Verra

Körpersprache-Experte

Gesellschaft
04.03.2024
Der gebürtige Osttiroler Stefan Verra hat in den vergangenen 15 Jahren mehrere Bücher zum Thema Körpersprache veröffentlicht, tritt regelmäßig bei Kongressen auf und berät öffentliche Institutionen genauso wie privatwirtschaftliche Unternehmen im Zuge von Workshops zu nonverbaler Kommunikation. 2021 ist er im ORF als Kommentator der alljährlichen politischen Sommergespräche aufgetreten, seit 2022 ist er Kolumnist bei der »Kleinen Zeitung«. Im Interview mit Talkaccino spricht er über die Macht der Gesten und Mimik und verrät, was wir tagtäglich abseits des gesprochen Wortes über uns verraten – einfach nur, indem wir uns körperlich verhalten.

Beginnen wir das heutige Gespräch mit deiner Vergangenheit. Du hast zwei Musikstudien abgeschlossen und dich danach auf Körpersprache spezialisiert. Wie kam es dazu?

Mein Papa war Bildhauer, wodurch Körperlichkeit eine große Rolle in der Familie gespielt hat. Aus Baumstämmen hat er innerhalb von zwei Monaten einen immens feingliedrigen Akt herausgearbeitet. Und dann ist eben beim Mittagessen diskutiert worden, wie die Hand dargestellt werden muss – vorm Gesicht wirkt sie anders als leicht seitlich vom Gesicht. Das dürfte bei mir auf fruchtbaren Boden gefallen sein. Unser Vater hat das allerdings nicht gefördert, sondern einfach normal über seinen Job gesprochen. Bei meinen Schwestern hat das überhaupt nichts ausgelöst. Für Körpersprache habe mich bereits in meiner Jugend begonnen zu interessieren, noch vor der Matura. Mir war relativ klar, dass jemand körpersprachlich auf der emotionalen Ebene überzeugend und mitreißend ist oder nicht. Ein Freund von mir hat Seminare organisiert und mich irgendwann gefragt, ob ich bei einem seiner Seminare eine Stunde über Körpersprache sprechen möchte. Ich habe Menschen nicht eingeordnet, sondern nur beschrieben, wie jemand wirkt, und eben nicht, wie jemand ist. Das ist gut angekommen, woraufhin ich immer wieder eingeladen wurde. So habe ich mich von der Musik, die mein Jugendinteresse war, beruflich wegentwickelt.

Du meintest, darauf zu achten, wie Menschen wirken. Wie würdest du den Leserinnen und Lesern erklären, wie ich gerade auf dich wirke?

Du hast eines der wichtigsten Dinge gemacht, die man in der Körpersprache machen kann. Wir sitzen gerade in einem Wiener Kaffeehaus und ich kannte dich vor unserem Gespräch nicht. Als ich hereingekommen bin, habe ich also auf Menschen geachtet, die alleine am Tisch sitzen und ein Aufnahmegerät vor sich liegen haben, da die Wahrscheinlichkeit dann sehr hoch ist, dass es sich um meinen Tisch handelt. Das Aufnahmegeräte war allerdings auf keinem Tisch zu sehen. Als ich vorhin bei der Säule vorbei bin, hast du mich gesehen und sofort reagiert. Erst nach der Säule haben wir uns richtig gesehen und dann begrüßt. Du hast aber schon die Millisekunden davor reagiert! Damit hast du mir das Signal gegeben, dass ich hier richtig bin. Es geht um Anerkennung und Wertschätzung. Jeder von uns möchte sie haben, aber die wenigsten geben sie. Anerkennung bedeutet nicht nur, »Danke« zu sagen, sondern jemanden zu erkennen und wahrzunehmen. Mit deiner Reaktion hast du mir ein unglaubliches Sicherheitsgefühl gegeben.

Wenn nun Leute runtersehen anstatt jemandem direkt in die Augen, könnte es auch Schüchternheit bedeuten. Umgelegt auf meine Reaktion von vorhin: Vielleicht habe ich einfach nur extremen Geltungsdrang.

(lacht) Gefällt mir! Natürlich könnte man das so sehen, wenn man es auf die Spitze treiben möchte. Aber: Es hängt schon auch davon ab, WIE du auf mich reagierst. Du hättest dir auch deinen Schal über die Schulter werfen und das Kinn heben können, gefolgt von dem Satz: »Herr Verra, ich bin’s, Sie wollen zu mir.« Das hast du überhaupt nicht gemacht. Ganz im Gegenteil! Mit deiner Reaktion hast du dich streng genommen sogar untergeordnet. Weil: Ein Chef reagiert auf seine Untergebenen nicht. Die begrüßen ihn, er reagiert höchstens mit einem Nicken, wenn wir es uns jetzt ganz klassisch, wie bei Eurer Majestät, vorstellen. Deine Körpersprache vorhin hat dich sympathisch gemacht, weil du gezeigt hast, dass du es für nötig gehalten hast, auf mich zu reagieren.
»Wenn wir auf eine perfekte Welt warten, werden wir unglücklich sterben«

Wir sind nun bereits bei den Möglichkeiten der Missinterpretation von Körpersprache angekommen. Der Klassiker: Wenn jemand die Hände verschränkt, ist es eine Abwehrhaltung. Aber: Die Person kann die Position auch gemütlich finden oder ihr ist einfach nur kalt. Es kommt also immer auf das individuelle Empfinden und die eigene Sozialisierung an. Ein langsamer Augenaufschlag kann Entspannung und damit Vertrauen bedeuten, aber genauso Arroganz.

Das, was du gerade gesagt hast, ist ganz toll, weil die Körpersprache tatsächlich niemals Auskunft darüber gibt, wie jemand ist, sondern nur, wie dieser Mensch auf mich wirkt. Ich kann von außen nicht beurteilen, warum du gerade die Arme verschränkst oder die Augenbrauen langsam hebst. Bist du müde, ang’soffen oder arrogant? Keine Ahnung! Jeder kann also nur beurteilen, wie ein Mensch auf ihn wirkt. Es handelt sich um den Ist-wirkt-Fehler. Wenn du nun die Arme verschränkst, die Beine überschlägst, den Kopf senkst und mich dann von unten ansiehst, ist dir vielleicht nur kalt, für andere wirkt es aber distanziert oder vielleicht sogar aggressiv. Die Interpretation, die jemand über dich hat, ist damit immer richtig! Ob er damit allerdings richtig liegt, kann dieser Mensch nie sicher sagen. Deswegen: Wenn Donald Trump arrogant auf jemanden wirkt, dann stimmt das. Wenn Trump auf jemand anderen wahnsinnig gewinnend wirkt, hat diese Person genauso recht. Es geht immer um die Sichtweise der Beobachter. Eigentlich wird damit immer die Wirkung beurteilt, womit es auch über die Betrachter viel aussagt. Wer hat recht, wenn zwei Menschen dieselbe Person gesehen haben, aber etwas komplett Unterschiedliches schlussfolgern? Wir können uns selbst testen, indem wir uns einfach in ein Kaffeehaus setzen und Leute beim Rein- und Rausgehen beobachten. Meist haben wir relativ schnell eine Meinung gefasst. Wenn wir das auf andere Situationen wie bspw. Bewerbungsgespräche umlegen, können wir uns fragen, warum wir genommen wurden oder nicht. Es geht also nicht darum, ob dein Gegenüber deine Genialität erkannt hat oder nicht, sondern was du von dir gezeigt hast.

Die Interpretation findet beim Empfänger statt und dennoch ist der Sender verantwortlich.

Der Sender ist nicht vollständig verantwortlich. Wenn das Gegenüber gerade grantig ist, ist es ungeduldiger und hat einen Stress. Wenn die Stimmung beim anderen gechillt ist, dann wird die Wahrnehmung auch eine andere sein. Wir können also nicht immer die Gefühlswelt aller anderen miteinbeziehen, gleichzeitig können wir nicht auf eine perfekte Welt warten, damit die eigene Genialität erkannt wird. Wenn wir darauf warten, werden wir unglücklich sterben. Arbeiten können wir immer nur an uns selbst. Wenn jemand bei Dates immer leer ausgeht, wird offenbar etwas transportiert, was die Leute nicht sehen wollen.

Der österreichische Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick hat den Ausspruch »Man kann nicht nicht kommunizieren« geprägt. Da Kommunikation eine Form des Verhaltens ist, könnte man auch sagen, dass man sich nicht nicht verhalten kann. Was sind deine Gedanken dazu?

Vollkommen richtig! Deswegen habe ich immer kritisiert, wenn gesagt wurde, dass Angela Merkel oder Olaf Scholz keine Körpersprache haben, nur weil beide wenig Veränderung in ihrer Mimik zeigen. Das Nicht-Verhalten ist oft das heftigste. Wenn du heimkommst und du willst mit der Partnerin oder dem Partner einen richtigen Streit beginnen und die reagieren dann einfach nicht, wirkt das sehr stark. Solche Nicht-Reaktionen – so zu tun, als ob jemand Luft wäre – sind oft die heftigsten in der Körpersprache. Wenn du vorhin, als wir uns erstmals gesehen haben, nicht reagiert hättest und ich wäre nach Minuten draufgekommen, dass du doch der richtige Ansprechpartner bist, wäre wahrscheinlich schon eine Missstimmung zwischen uns beiden aufgekommen.

In welchen Situationen merkst du, dass Menschen anders auf dich reagieren, als du es dir erwarten würdest, obwohl du dich seit Jahren bzw. Jahrzehnten mit Körpersprache beschäftigst?

Ich werde sehr oft geduzt, weil ich sehr klein bin und nicht wie 51 aussehe. Noch dazu kleide ich mich modern und bewege mich sehr schnell, was jünger wirkt, als wenn ich mich langsamer bewegen würde. Rational erkläre ich es mir dann immer so, dass die Leute nur beurteilen, was sie sehen. Wenn dann aber an der Rezeption jemand neben mir steht, der jünger ist als ich, und der wird gesiezt, ich aber geduzt, dann ärgert mich das. Je älter ich werde, desto stärker ärgert es mich, wenn mich ein 22-Jähriger, der mein Sohn sein könnte, einfach duzt. Wenn alle geduzt werden, dann stört es mich überhaupt nicht. Wenn es allerdings selektiv passiert, stört es mich. Aus professioneller Sicht weiß ich, dass ich mich anders geben müsste, damit ich entgegensteuern kann. Mein professionelles und privates Wirken sind in der Hinsicht in einer totalen Dissonanz.
»Trump agiert wie ein Trucker in der Kneipe«

In Medien wurdest du teilweise als »Koryphäe« oder »Guru« in Sachen Körpersprache bezeichnet. Kann man dem gerecht werden?

Ich bin auch schon mal »Rockstar der Körpersprache« genannt worden, weil das Tempo bei meinen Vorträgen auf der Bühne sehr hoch ist und es einfach abgeht. Selbst würde ich mich so allerdings niemals bezeichnen. Wenn ich auf der Bühne stehe, muss ich die Leute aber für Körpersprache begeistern und ihnen zeigen, dass ich es selbst bin. Guru-Qualitäten habe ich überhaupt keine, weil Gurus von sich selbst glauben, immer recht zu haben. In meinen Analysen über Trump, Biden, Putin – oder wen auch immer – sage ich, dass ich mir nicht anmaße zu wissen, was für Menschen das sind. Ich kann nur beschreiben, wie welche Bewegungen auf einen Großteil der Menschen wirken und welche Auswirkungen das haben kann. Das kann ich beurteilen, sonst nichts. Ich würde sogar so weit gehen, dass ich weit mehr Dinge nicht weiß. Wahrheitspächter oder dergleichen bin ich wirklich nicht.

Haben Menschen über die Jahre in deinem privaten Umfeld begonnen, sich anders zu verhalten, weil sie das Gefühl haben, dass du jede Geste, Mimik und Körperhaltung interpretierst?

Alle meiden mich und keiner will etwas mit mir zu tun haben! (lacht)

Und wenn doch, sind sie total versteinert und bewegen sich gar nicht mehr.

(lacht) Genau! Nein, natürlich nicht. Es wäre eine missverständliche Auffassung von einer Sache, mit der man sich auskennt. Zwei Beispiele: Wenn man mit einem Tischler nicht mehr an einem Holztisch sitzen kann, weil er sich andauernd denkt, wie man den Tisch anders hätte bearbeiten können, gehört er eher zum Psychologen als in eine Tischlerei. Wenn ein Psychologe andauernd analysiert, was in der Vergangenheit bei Menschen etwas bewirkt haben könnte, hat er seinen Job verfehlt. Und auf mich bezogen: Wenn ich jedes Signal analysieren würde, hätte ich meinen Job ebenso komplett verfehlt. Körpersprache bedeutet nicht, Einzelsignale zu deuten. Körpersprache ist ein Versprechen, bevor wir noch die eigentliche zwischenmenschliche Kommunikation starten. Anhand dieses Versprechens ordnen wir uns ein. Wenn zwei Singlefrauen gemeinsame in eine Bar ausgehen, schauen sie sich die Männer im Raum an. Es passiert unterbewusst, ob sie es wollen oder nicht. Wenn sie dann zwei Männer an der Bar sehen und einer von beiden erzählt wild gestikulierend, triggert das eine der beiden Frauen. Weil: Sie hat das Lebensbedürfnis nach Lebensfreude, Enthusiasmus und Aktivität. Seine temperamentvolle Körpersprache suggeriert, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Damit besteht schon eine Verbindung, bevor sie noch ein Wort gemeinsam gesprochen haben. Ihre Freundin hingegen denkt sich, was das für ein nervöser Typ ist, weil sie ganz andere Bedürfnisse hat. Der Freund vom wild Gestikulierenden hingegen macht ganz sanfte und ruhige Bewegungen und hört einfach zu. Das triggert nun die Freundin, weil sie ein Bedürfnis nach Berechenbarkeit und Stabilität hat. Wenn sie die Schulter zum Anlehnen sucht, ist er der richtige Typ für sie. Die andere denkt sich über den wiederum, was er eigentlich für eine Schlaftablette ist. Um das auf Trump umzulegen: Er agiert genauso wie ein Trucker in der Kneipe. Die fühlen sich dann von ihm abgeholt, weil er Bedürfnisse als Versprechen befriedigt, die Biden oder Clinton nicht geben konnten mit ihrer geschniegelten Körpersprache. Was Trump dann sagt, ist gar nicht mehr so wichtig, selbst wenn es den Leuten womöglich sogar schadet.
»Kickl ist überhaupt kein Talent«

Auf Österreich bezogen könnte man nun sagen, dass ein Haimbuchner mit Bierglas und in Tracht besser wirkt als ein Kickl im Anzug mit Wasserglas.

Kickl ist überhaupt kein Talent. Er hat sich einfach innerhalb der Partei gut durchgesetzt. Norbert Hofer war zu geschniegelt und hat rein die Mitte angesprochen, aber nicht die frustrierten Ränder. Straches Körpersprache fehlt der Partei. Er hat eine Kraft in der Stimme, die Kickl komplett fehlt. Und von Jörg Haider möchte ich gar nicht erst zu reden beginnen. Es ist das Problem der AfD in Deutschland. Die haben niemanden, der die Gefühle der Wählerinnen und Wähler glaubhaft widerspiegeln kann. Wenn da mal jemand kommt, sind sie zumindest gemeinsam mit der CDU/CSU auf Platz eins. Giorgia Meloni in Italien hat das geschafft oder Boris Johnson damals in UK.

Ist nicht genau das der Grund, warum viele Menschen im Mittelmaß untergehen? Wenn man zu zurückhaltend oder zu aufbrausend ist, verschreckt man womöglich. Lieber nicht auffallen, aber halt dafür durchkommen.

Man wird ganz gut durchkommen und im Mittelmaß steckenbleiben. Das lernt man ja schon in der Schule so. Meine Kinder haben in der Schule mal folgende Order bekommen: Wer sich beim Referat bewegt, bekommt eine Note schlechter. Da kann man ja nur lachen und sich an den Kopf greifen! Deswegen sind alle bei Firmenpräsentationen so nervös, weil sie das wieder abrufen und sich denken: Nur nicht gestikulieren und bewegen. Deswegen sind Firmenvorträge nach drei Minuten meist schon nicht mehr anzuhören und öden einen an. Und genau deswegen sind auch die meisten Politikerreden unglaublich öde. Braucht man sich ja nur mal ansehen, wie im Nationalrat – bis auf wenige Ausnahmen – präsentiert wird. Das hält ja niemand aus! Generell geht es aber um Authentizität. Merkel wirkt durch ihre Stabilität gut. Obama und Trump sind unterschiedlich und reduziert auf ihre jeweiligen Zielgruppen. Wenn Trump sich mehr reduzieren und Obama mehr wie Trump agieren würde, würde das nicht funktionieren, weil sie ihre Zielgruppen verlieren würden.

Dem stimme ich nun nicht ganz zu. Haider hat in seinem letzten Wahlkampf 2008 sehr gemäßigt den Elder Statesman gegeben und mit dem BZÖ damals die 10-Prozent-Hürde genommen, was ihm vorher niemand zugetraut hat. Auch Strache ist in seinem letzten Wahlkampf ruhiger aufgetreten, hat die Mitte dadurch angesprochen und die FPÖ damit in die Regierung geführt.

Die Leute haben damals gesagt, dass Strache nun ganz anders auftritt, was ich so nie gesehen habe. Er hatte immer leichte zornige Zitterbewegungen. Verbal war er gemäßigter und auch die großen Gesten haben gefehlt. Aber die Zuckbewegungen hatte er immer noch. Aus meiner Sicht lassen sich die Menschen zu leicht blenden. Dazu kommt, dass Journalisten gerne voneinander abschreiben. Wenn einer etwas veröffentlicht, schreiben es die anderen auch, und auf einmal steht überall, dass Strache gemäßigter ist. Strache hat sich niemals geändert. Er hatte nicht mehr seine extreme Ausfälligkeit. Und: Jeder Mensch besitzt eine Bandbreite. Obama habe ich auch schon sehr aggressiv in Reden wahrgenommen. Nur elegant ist der auch nicht. Der kann schon auch überheblich rüberkommen. Niemand ist immer nur nett oder aufbrausend.

Für eines deiner früheren Bücher hast du den Titel »Die Körpersprache der Mächtigen« gewählt. Unterscheidet sich die Körpersprache von Manager:innen und Politiker:innen grundsätzlich von der Körpersprache des gemeinen Volkes? Oder ist sie einfach nur bewusst zielgerichteter, um mit den Massen zu spielen?

Bewusst setzt Körpersprache fast niemand ein. Wenn ich dich nun darauf hinweise, wie deine Knie gerade stehen, dann schaust du runter und merkst, wie sie jetzt im Moment ausgerichtet sind. Nach 20 Sekunden hast du das aber schon wieder vergessen. Das, was wir machen können: Routinen, die wir uns über lange Zeit angelernt haben, uns über lange Zeit auch wieder abgewöhnen. Unser Temperament können wir aber nicht ablegen. Das ist schon vorgeburtlich festgelegt. Es gibt zwei Arten von Machtmenschen. Ursula von der Leyen ist nicht an der Macht, weil sie gewählt wurde, sondern weil andere Politiker sie dort oben haben wollten. Trump hingegen wurde gewählt. Angela Merkel wurde gewählt. Emmanuel Macron wurde gewählt. Hier gab es – zumindest zeitweise – einen Großteil der Menschen, der meinte: Das sind unsere Leader! Nicht jeder an der Spitze ist dort, weil die Körpersprache so gewinnend war.

Sondern weil die Binnenlogik der Politik oder des Unternehmens verstanden wurde.

Genau, mit wem muss ich mich auf ein Packl hauen? Darum geht es. Bei Wahlen bekommen wir ja auch nicht die Besten, sondern nur die, die uns zur Verfügung gestellt wurden. Olaf Scholz muss nicht zwingenderweise der beste Kandidat für die SPD gewesen sein. Er war halt der einzige, der für uns wählbar war. Das gilt auch für Österreich. Was die da oben uns schon suggerieren: eine gewisse Form der Zielstrebigkeit. So absurd es klingt: Jemand »da oben« muss bis zu einem gewissen Grad etwas rücksichtslos sein. Wenn du in einer Firma erfolgreich bist und auf einmal nach oben gelobt und Teamleiter wirst, gibt es das Problem, dass viele nach wie vor die Sympathien von allen haben wollen. Gleichzeitig müssen sie aber Unternehmensziele verkörpern und alle in diese Richtung antreiben. Wenn du dann herumdrückst, weil du weiterhin von allen gemocht werden möchtest, hast du schon verloren, weil die anderen den Glauben an dich verlieren. Scheuklappen anlegen ist manchmal also notwendig, wenn erst einmal die Zielrichtung vorgegeben ist. Wichtig ist, dass der Großteil der Gruppe hinter einem steht. Auf jeden kann man dann leider keine Rücksicht nehmen, weil du für die anderen dann unentschlossen wirkst. Das ist die Schwierigkeit.
Im Interview: Körpersprache-Experte Stefan Verra

Welche deiner körperlichen Ticks hast du dir mit der Zeit abtrainiert?

Ich gehe nicht mehr so breitbeinig wie früher. Ich bin 1,60 Meter groß, was wirklich klein ist. Wenn ich dann also mit O-Beinen gegangen bin, war ich richtig erschrocken, als ich Videos von mir gesehen habe. Das hat einfach ungeschickt gewirkt. Wenn so ein kleiner Gartenzwerg breitbeinig daherkommt, hat das eine Wirkung, die ich nicht ausstrahlen wollte. Zweite ganz große Selbstkritik: Mein Publikum hat bei meinen Auftritten immer viel gelacht, und ich dachte, dass es daran liegt, weil ich selbst viel lache, aber ich hatte immer einen ernsten Blick. Von dem Moment an erinnere ich mich gerne selbst daran, ein freundliches Gesicht zu machen. Wir alle überschätzen unsere freundliche Mimik dramatisch. Ich arbeite nach wie vor daran.

In deinem aktuellen Buch stellst du – bereits im Titel – folgende These auf: Frauen werden durch ihre Körpersprache oft nicht ernst genommen und Männer bleiben unfreiwillig Single.

Bei Männern ist es ein zunehmendes Problem, dass sie unfreiwillig zölibatär leben, weil sie einfach keine abbekommen. Das ist ein tatsächliches Problem, weil sie hormonell zusehends aggressiv werden.

Es gibt Möglichkeiten, sich zu entspannen.

Das schon, aber das reicht offensichtlich nicht. Wenn ein Mann alleine auf eine Frau zukommt, ist es potentiell immer gefährlicher, als wenn er mit einer Frau an seiner Seite erscheint. Wir werden durch Frauen tatsächlich im Zaum gehalten, und das meine ich nicht nur sexuell. Männer bleiben heutzutage häufiger Single, weil Frauen viel stärker die Wahl haben im Vergleich zu früher. Sogar die Ungustln haben früher eine abbekommen. Heute haben Frauen die Wahl. Wenn sich einer nicht benimmt und nicht nachweisen kann, dass er eine Familie erhalten kann, hat er ganz schlechte Karten. Umgekehrt werden Frauen oft nicht ernst genommen, weil Signale, die im Frausein und in der Partnersuche wichtig sind, im beruflichen Leben überhaupt nicht zählen. Ein konkretes Beispiel: Ich werde auf Kongressen oft von Moderatorinnen angekündigt. Manche sind wahnsinnig gut, manche sind aber mehr damit beschäftigt, schön zu sein. Die Aufgabe der Moderatorin erledigt sie damit halt nicht. Jeder wird sagen: Hübsche und elegante Frau, aber als Moderatorin war sie schwach. Ein weiteres Beispiel: Bei einer Bewerbung sind Ohrringe, hochhackige Schuhe und ein körperbetontes Outfit mit offenem Haar vielleicht nicht die richtige Wahl, auch wenn ihr das gefällt. Wenn sie dann noch das Haar zurückwirft, mit der Hüfte schwingt und ein Bein keck ausstellt, lässt sie das feminin wirken, aber eben nicht kraftvoll und zielstrebig. Sie ist dann eine schöne Person, aber keine starke Persönlichkeit.

Wir sind jetzt zwei Männer, die sich unterhalten. Feministische Stimmen könnten nun laut werden und hinterfragen, ob eine Frau sich nun weniger modisch oder elegant anziehen muss, nur damit sie einen Job bekommt? Sind das die Gründe, die den Ausschlag geben sollten?

Wir müssen hier jetzt schon mal den Spiegel vorhalten. Frauen sind sehr schnell dabei, über Männer zu richten. Wenn ein Mann in der U-Bahn breitbeinig sitzt, ist das falsch, und dort führt er sich so auf und so weiter. Ich habe das vorhin nicht gesagt, um Frauen zu kritisieren, sondern habe nur aufgezeigt, wie sie schlechter oder eben besser aussteigen. Es geht darum, wie man kompetenter und selbstsicherer wirkt. Kleidung ist ehrlicherweise das Unwichtigste. Viel wichtiger ist das Aufklappen der Ellbogen oder wie man den Kopf beim Gehen bewegt. Wenn andauernd die Handgelenke umgeklappt werden, suggeriert das Schwäche. Also: Ich will Frauen überhaupt nichts sagen, außer dass sie genauso wie Männer nach ihrer Wirkung beurteilt werden. Wenn man gleich von vornherein sagt, dass man nicht kritisiert werden darf, sage ich: Wunderbar, wenn du dich privat so gibst und kleidest, allerdings nicht, wenn du Vorgesetzte von 30 Leuten werden möchtest.

Wie sehr hast du deine Körpersprache bewusst eingesetzt, um dich vom Singlemann zum Ehemann zu mausern?

(lacht) Ich bin mit meiner Frau 23 Jahre lang zusammen. Kennengelernt haben wir uns beim Brettspiel »Trivial Pursuit«. Sie hat gegen mich gewonnen, was ja eine Frechheit war und sie seit 23 Jahren büßt! (lacht) Bewusst gemacht habe ich damals aber gar nichts. Ich hatte das Glück, dass ich jemanden kennengelernt habe, die mir mit ihrer Körpersprache genau das versprochen hat, was ich wollte. Sie hat kräftige Handbewegungen, was ich sehr mag. Damit meine ich nicht, dass sie maskuline Hände hat, sondern dass sie deutlich gestikuliert. Allzu weich ist sie in ihrer Körpersprache nicht. Das mag ich auch nicht. Umgekehrt habe ich ihr mit meiner Körpersprache offenbar auch das versprochen, was sie gebraucht hat – nämlich Temperament, obwohl ich kleiner bin, als sie es ist. Humor und Schmäh war ihr vielleicht auch wichtig. Nahezu alle Frauen wollen, dass Männer größer sein sollen als sie selbst. Das zeigt in unserem Fall, dass das Versprechen der Körpersprache einen sehr großen Einfluss hat.

Lieblings-

Buch: Der längere Atem (George Leonard)
Film: The Remains of the Day
Song: Zu viele – ich gehe gerne in die Oper, habe einen Zugang zu Jazz und höre wahnsinnig gerne Heavy Metal.
Schauspieler/in: Al Pacino – er ist manieristisch in seinen Bewegungen.
Motto: Im Zweifel mach einen Schmäh, und zwar in jeder Situation!
Autor/in: Franz Kafka
Serie: Breaking Bad, Gomorrha, Suburra
Stadt: Im deutschsprachigen Raum eindeutig Wien, ansonsten Manhattan in New York City und Treviso.
Land: Italien
Gericht: Italienische Antipasti
Getränk: Rotwein

Persönliches Mitbringsel

Ich wohne zur Miete und habe kein Auto. Ich hänge an nichts, außer meiner Familie und meinen Freunden.

Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche

Ich vergesse unglaublich schnell. Je mehr man seine Erfolge feiert, desto stärker fällt man in ein Loch, wenn man einen Misserfolg hat. Ich gehe nach beidem ein gutes Glas Wein trinken.

Berufswunsch als Kind

Ich habe und hatte damals auch schon kein Talent, so weit nach vorne zu schauen.

Wen wolltest du immer schon einmal treffen?

Menschen, mit denen ich gute Gespräche führen kann.

Teenie-Schwarm

Metallica als Band, weil ich sie cool gefunden habe. Die haben über Jahrzehnte ihre Gemeinschaft erhalten und zusammengehalten. Das finde ich reizvoll.

Café-Bestellung

Soda-Zitron

Ort des Interviews

Café Stein
Das Café Stein an der Währinger Straße hat erstmals 1985 seine Pforten geöffnet und wurde vom damaligen Besitzer der legendären Diskothek U4 betrieben. Es sollte eine Neuinterpretation der Wiener Kaffeehausszene werden und wurde – nicht zuletzt aufgrund der Nähe zum Hauptgebäude der Wiener Universität – Anlaufstelle für viele Studierende, sowohl untertags als auch nach Einbruch der Dunkelheit. So auch am Tag des Interviews mit Stefan Verra. Während des Talkaccino-Gesprächs wuselt es an anderen Tischen. Laptops und Bücher wurden ausgepackt und mal wurde angeregter oder auch mal verzweifelter über dem Prüfungsstoff gebrütet, die auszuarbeitenden Seminararbeiten diskutiert oder einfach nur in die nahe Ferne der Votivkirche gestarrt.