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Im Gespräch: Leonie-Rachel Soyel
 
       
       
Leonie-Rachel Soyel

Bloggerin & Podcasterin

Gesellschaft
19.05.2021
Die ersten Blogs sind Ende der 90er mit dem Aufkommen des Internets entstanden. Ursprünglich waren sie als öffentliche Tagebücher gedacht, mittlerweile gibt es sie in unterschiedlichsten Ausprägungen. Zu den populärsten Themengebieten gehören Food, Lifestyle und Reisen. Leonie-Rachel Soyel bloggt seit ihrem 15. Lebensjahr, und damit seit über 16 Jahren. Ihre Herzensangelegenheiten: Lifestyle, Mental Health und Sex. Zu Letzterem betreibt sie außerdem den Podcast »Couchgeflüster« gemeinsam mit der Journalistin Sinah Edhofer.

Einer der ersten Sätze auf deinem Blog lautet, dass du Bloggerin bist, weil du keine gute Rapperin wärst.

Ja, willst du mehr darüber wissen?

Ich bitte darum.

Ich höre sehr gerne Deutsch-Rap, finde Rap-Musik generell sehr interessant und habe ein Faible für Wortkunst. Deswegen dürfte Bob Dylan auch mein Lieblingskünstler sein. Er ist mehr Poet als Sänger. Ich kann allerdings weder singen noch rappen. Aber ich kann, glaube ich, ganz gut schreiben. 

Und fürs Rappen fehlt dir das Taktgefühl?

(lacht) Ich bin der taktloseste Mensch, den du je kennengelernt hast! Ich muss zugeben, dass ich es noch nie großartig probiert habe. Liedtexte habe ich allerdings früher schon gerne geschrieben. So hat auch alles angefangen, da mein Blog ursprünglich als Tagebuch mit Gedichten gestartet hat. Daher auch der Satz: I blog, because I am not a good rapper!

An anderer Stelle schreibst du, dass dir mentale Gesundheit und Selbstliebe besondere Anliegen sind und du über die Auf und Abs des Lebens schreibst. Vor ca. einem Jahr wurde berichtet, dass du eine Borderline-Persönlichkeitsstörung und Suizidgedanken hast. Deine Beziehung soll dadurch in die Brüche gegangen sein und Jobs gingen verloren. Ist dein Blog damit eine Art öffentliches Therapieforum?

Jein. Die Borderline-Persönlichkeitsstörung habe ich, seit ich denken kann. Diagnostiziert wurde sie erstmals mit 17 Jahren als Tendenz, weil man in Österreich unter 18 keine fixe Diagnose bekommt. Danach wurde sie aber auch am AKH diagnostiziert. Als ich 27 geworden bin, habe ich mich dazu entschlossen, das Thema öffentlich zu machen. Ich habe gemerkt, in zwei Welten zu leben. Einerseits in der perfektionistischen Instagram-Welt unter Wahrung des glücklichen Scheins. Andererseits hat mein Inneres ganz anders ausgesehen. Das wollte ich ändern. Ich habe ziemlich lange darüber nachgedacht, weil ich wusste, was es bedeutet, öffentlich mit einer Krankheit umzugehen. Gebracht hat es mir, dass ich damals viele meiner Kunden verloren habe. Vom einen Tag auf den anderen waren alle meine Aufträge weg. Zum anderen hat es mir viel gebracht, weil ich gemerkt habe, dass es da draußen viele Menschen gibt, denen es ähnlich geht, wenn auch nicht immer mit einer Borderline-Störung, aber mit anderen psychischen Erkrankungen, die auch ein Stigma haben. Ich versuche Menschen zu zeigen, dass man trotz einer psychischen Erkrankung ein gutes Leben führen kann. Man muss an sich arbeiten und die Probleme anpacken. Es ist in Ordnung hinzufallen, wenn man wieder aufsteht. Ich will den Leuten, die eine frische Diagnose bekommen, Hoffnung geben.
»Ich habe Borderline und Depressionen«

Hinfallen und wieder aufstehen. Gerade eine Depression ist davon gekennzeichnet, dass man nicht mehr aus dem Bett kommt. 

Ich weiß, ich habe Borderline und Depressionen.

Wenn Leute es nicht mal schaffen, aus dem Bett zu kommen, sollen sie aufstehen und ihre Probleme anpacken?

So würde ich das Leuten, die Depressionen haben, nicht sagen. Was ich meine, ist, dass man sich Hilfe suchen soll. Ich weiß, wie schwer das ist. Ich hatte auch Tage, an denen ich nicht rauskonnte und im Bett gefangen war. Wenn man gewisse Symptome feststellt und glaubt, betroffen zu sein, sollte man sich um eine Diagnose bemühen und sich Hilfe holen. Mein Ex-Freund ist gestorben. Wenn jemand stirbt, den man schätzt, ist es normal, sich Hilfe zu holen und es nicht mit sich selbst auszumachen. Ich würde niemals jemandem mit Depressionen sagen: »Jetzt steh mal auf, ist ja alles nicht so schlimm.« Es ist nämlich schlimm! Die Personen wissen, dass sie sich ab einem gewissen Punkt helfen lassen müssen, weil man selbst nicht aus der Sache rauskommt. Es braucht professionelle Hilfe! Auch viele Angehörige glauben, dass sie es alleine schaffen. Meist ist das nicht der Fall.

Wusste es deine Familie, bevor du es öffentlich gemacht hast?

Ja, die wussten das. Meine Mutter hat mich zu meiner ersten Therapeutin gebracht.

Und deine ehemaligen Kunden: Haben die ganz offen gesagt, dass das nicht zu ihrem Image passt, oder war plötzlich »kein Budget mehr vorhanden«?

Teilweise war es schon so, dass es ums Image gegangen ist, weil sie nicht mit so einer Krankheit in Zusammenhang gebracht werden wollten. Das habe ich oftmals erst hinterrücks erfahren. Die offizielle Absage war dann meist sowas wie: »Der Kunde hat sich doch für jemand anders entschieden.« Ich kannte allerdings die PR- und Marketing-Leute. Die haben mir dann ganz ehrlich gesagt, woran es lag, was dann schon verletzend war. Aber Hauptsache, jetzt wo Mental Health »in« ist, wollen alle wiederkommen.
Im Interview: Bloggerin & Podcasterin Leonie-Rachel Soyel

Du bloggst dein halbes Leben lang und hast die Entwicklung von Social Media damit nicht nur miterlebt, sondern bis zu einem gewissen Grad mitgeprägt. Es gibt zahlreiche Instagram-Profile von Menschen, die tagtäglich zig Selfies posten, die mit der Realität wenig zu tun haben. Leben wir in einer Zeit lauter selbstverliebter Narzissten?

Ich habe einmal in einem Interview gesagt, dass eine Portion Narzissmus dazugehört. Heute würde ich das so nicht mehr sagen, da das eine psychische Diagnose erfordert. Aber: Ein gewisser Grad an Selbstverliebtheit gehört dazu, um sich selbst darzustellen. Es ist part of the game, wenn man auf Social Media ist. Das betrifft aber nicht nur Influencer, sondern jeden, der auf Social Media präsent ist. Ich finde das auch nicht schlimm. Die Frage ist, ob man sich selbst so annimmt, wie man aussieht, und sich auch so zeigt. Oder verändert man sich mit Filtern, Photoshop und Co.? Das ist die Frage!

Das wird immer mehr, oder?

Ich glaube, dass es eine Gegenbewegung gibt. Wie alles im Leben hatte das seine high time, zu der alles sehr perfektionistisch und wunderschön war. Mittlerweile gibt es auch schon einige große Influencerinnen, die alle möglichen Bilder zeigen – ohne Make-up und ohne Filter. Man muss sich, wie auch im wahren Leben, schon die richtige Bubble auf Instagram suchen.

Was steckt dahinter, von sich selbst jeden Tag mehrere Fotos zu posten, um sie der Welt zu zeigen?

Wenn ich von mir ausgehe: Ich poste Fotos von mir, auf denen man mich in Action sieht oder ich ein Produkt vorstelle oder ich einfach irgendwelche Sachen mache. Und wenn man nur ein Selfie postet mit einem Text dazu, ist das ja auch nett. Es ist ein bissl so wie in den frühen 2000ern mit It- Girls wie zum Beispiel Paris Hilton. Man hat sich dauernd irgendwelche Magazine gekauft, um zu schauen, was Paris Hilton, Britney Spears oder Lindsay Lohan jetzt schon wieder gemacht haben. Jetzt sind es zum Teil Influencer. Man ahmt ja auch nach. Einer meiner ersten Blogs war ein Fan-Blog über Paris Hilton, gemeinsam mit meiner damals besten Freundin. Wir haben alle ihre Fotos gesammelt und ihre Outfits nachgekauft. Im Grunde war das damals schon eine Art von Influencing.

Was sagst du Feministinnen, deren Meinung ist, dass halbnackte Frauen auf Instagram sich in einer Männerwelt ...

... als Objekte darstellen? Feministen, die so etwas behaupten, sind in meinen Augen keine Feministen. Für mich hat Feminismus damit zu tun, dass ich mich in jeder Rolle als Frau wiederfinden darf und ich mich so darstellen darf, wie ich es will. Wenn sich jemand wohl damit fühlt, kurze Kleider zu tragen, ist das ihr absolutes Recht! Dagegen habe ich überhaupt nichts. Man muss sich halt seiner Außenwirkung bewusst sein. Ob das immer der Fall ist, ist wieder eine andere Sache. Aber es ist falsch, ein Urteil über andere Menschen zu fällen. Ich ziehe mich zum Beispiel gerne supersexy an und bin dann trotzdem in Jeans im Schlabberlook unterwegs. (lacht)

Eine andere Diskussion ist: Kinder oder Karriere? Ich finde, nur der, der es ausführt, darf über sein Leben bestimmen, und nicht die anderen. Dieses »So muss das sein«-Schwarz-Weiß-Denken mit erhobenem Zeigefinger finde ich schrecklich. Das Leben ist superbunt! 
Im Interview: Influencerin Leonie-Rachel Soyel

Die Kabarettisten Stermann & Grissemann haben einmal behauptet, dass Funk und Fernsehen sie kaputt gemacht habe. Umgelegt auf unsere Generation: Haben uns das Internet, Social Media und Online Dating kaputt gemacht?

Ich glaube, man wächst mit den Bürden, die die Gesellschaft mit sich bringt. Das bietet sehr viel Potential. Meine Kollegin, die Sinah, mit der ich »Couchgeflüster« gemeinsam mache, hat ihren Freund auf einer Dating-Plattform kennengelernt. Sie meinte, dass das toll war, weil es außerhalb ihrer Bubble war. Sie war in einer Medien-Bubble und hatte auf diese Typen keinen Bock mehr. Ihr Freund ist in der IT-Branche, macht also etwas ganz anderes. Sie hätte ihn im echten Leben wahrscheinlich niemals kennengelernt. Sie sind schon drei oder vier Jahre zusammen und verstehen sich super. Es ist doch schön, wenn man die Möglichkeit hat, neue Leute kennenzulernen! Auch in meinem Fall: Ich bin Selbstständige und arbeite von zu Hause aus. Meine sozialen Kontakte – auch außerhalb von Corona-Zeiten – sind sehr minimal. Da ist eine Dating-App das Angenehmste. Klar kann man auch im Lokal jemanden kennenlernen, aber dazu hat man nicht immer die Zeit. Und wenn ich fortgehe, möchte ich die Zeit mit meinen Freunden genießen. Aber: Klar entstehen auch Hürden dadurch und Social Media hat sicherlich die mentale Gesundheit beeinflusst. Es kommt darauf an, worauf du deinen Fokus legst. Wenn du acht Stunden am Tag am Handy hängst und dir anschaust, was alle anderen haben, und du kommst dir dann scheiße vor, weil du das alles nicht hast, dann ist das nicht so gut. Wenn du dir aber Inspiration holst – für nachhaltiges Leben oder vegane Rezepte –, ist das sehr zielführend.

Wie oft wirst du zu Nicht-Corona-Zeiten in echt angesprochen und wie viele Nachrichten erhältst du über diverse Apps und Messenger von Männern?

Ich bekomme jeden Tag Nachrichten. Ich lehne alle Anfragen über Instagram und Co. ab, weil ich das übergriffig finde. Prinzipiell, wenn auch nicht aktuell, bin ich auf Dating-Plattformen aktiv. Wenn man sich dort findet und ein Match hat, ist es legitim, wenn man sich schreibt. Aber wenn man mir schreibt, dass man mich auf Tinder, Bumble oder sonst wo gesehen hat, und mir dann auf Instagram schreibt, finde ich das absolut nicht in Ordnung. Ich habe meine Social-Media-Kanäle auch nicht verlinkt, was heißt, man müsste mich schon suchen. Im echten Leben werde ich auch relativ häufig angesprochen. Das liegt, glaube ich, einfach daran, dass ich ein relativ hübscher Mensch bin. Ich finde es auch nicht schlimm, wenn man mich anspricht. Es kommt immer auf den Kontext an. Wenn mir ein Mann sagt, dass er mich von Instagram kennt, finde ich das etwas creepy. Wenn mich jemand in einer Bar anspricht und fragt, ob wir gemeinsam was trinken wollen, schau ich, ob mir das Gegenüber gefällt oder nicht. Wie jeder normale Mensch.

Was sind exemplarische Sätze, mit denen du angesprochen wirst?

Die typische Dating-Situation in einer Bar ist: »Hey, magst was trinken?« Und dann sage ich entweder »Ja« oder »Nein«. Die Wiener an sich sind ein relativ verklemmtes Volk. Wirklich flirty sind die nicht. In Berlin ist das angenehmer. Dort habe auch ich als Frau viel öfter Typen angesprochen und habe sie gefragt, ob sie etwas trinken wollen. Die Stimmung dort ist viel angenehmer. Sie ist nicht so sexualisiert. In Wien gehen alle nur fort, weil sie irgendein Ziel haben. In Berlin gehst du wegen des Fortgehens an sich weg.
»Die Wiener sind ein relativ verklemmtes Volk«

Was ist Liebe und wie oft hast du schon geliebt?

Liebe ist ein sehr schwierig zu definierender Begriff. Ich habe das früher oft damit verwechselt, mich zu fragen, wie viel Leid mir das bringt. Vielleicht ist »Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins« deshalb mein Lieblingsbuch, seitdem ich 16 bin. (lacht) Ich dachte, dass man leidet, wenn man liebt. Das würde ich heute so nicht mehr unterschreiben. Ich habe in meinem Leben bisher wahrscheinlich dreimal richtig stark geliebt.

Also auch dreimal richtig stark gelitten.

Eine meiner ersten großen Lieben ist gestorben. Die Trennung war wirklich schön. Sie war einvernehmlich. Es war für uns beide okay. Vor drei Jahren ist er leider verstorben. Das hat im Nachgang mehr wehgetan. Zu wissen, dass dieser wunderbare Mensch nicht mehr unter uns weilt. Er hat mich sehr geprägt. Er war ein Mann, den ich jeder Frau gerne wünschen würde. Zuvorkommend, liebevoll und richtig toll! Wir waren superjung, als wir zusammengekommen sind. Das Leben hat nach uns beiden geschrien und wir haben uns auseinanderentwickelt. Als er verstorben ist, habe ich beschlossen, anderen Menschen helfen zu wollen. Er hat anderen Menschen immer sehr geholfen und hatte ein gutes Herz. Daher möchte ich das mehr zu meinem Lebensinhalt machen.
»Intimität ist zum Massenprodukt für ein Druckablassen geworden«

Im Podcast »Couchgeflüster«, den du gemeinsam mit Sinah Edhofer betreibst, tauscht ihr euch regelmäßig über die schönste Nebensache der Welt aus. Seht ihr euch damit als die realen Carrie Bradshaws aus Wien? (Anm.: Carrie Bradshaw war Hauptcharakter und Kolumnistin in der Erfolgsserie »Sex and the City«.)

(lacht) Sinah ist witzigerweise ein riesiger »Sex-and-the-City«-Fan. Ich persönlich finde, Carrie Bradshaw hat ein sehr seltsames Bild aufs Dating gebracht. Was wir beide wollen: Frauen zeigen, dass es supernormal ist, über Sex, Dating und Liebe zu sprechen. Unter Freundinnen redet man ja auch darüber. Dennoch gibt es nach wie vor Tabuthemen, wie zum Beispiel Masturbation. Frauen machen es sich wöchentlich weniger oft als Männer. Es gibt Sexreports, in denen man das nachlesen kann. Das finde ich traurig, dass auf dem Thema noch so viel Scham liegt! Frauen sind nach wie vor viel zu schambehaftet, wenn es um das Thema Sex geht. Das wollen wir ändern.

Ich bin mir nicht sicher, ob es eine Studie war oder in einem Film erwähnt wurde: Wenn man Männer fragt, mit wie vielen Frauen sie geschlafen haben, multiplizieren sie die Zahl meist mit einem Faktor, während Frauen sie dividieren. Masturbieren Frauen also wirklich weniger oder geben sie es nur nicht zu?

Ich glaube, dass die Frage in der Studie eher wahrheitsgemäß beantwortet wurde. Natürlich kann man immer lügen. Da können die Leute, die die Studie erhoben haben, nichts dafür. Wenn Frauen sagen, dass sie gerne Sex haben, sind sie automatisch Schlampen. Das ist noch sehr stark in den Köpfen von vielen verankert. Dieses Denken löst sich erst langsam auf. Wir unterhalten uns über solche Themen in unserem Podcast. Wir unterhalten uns aber auch darüber, dass es genauso in Ordnung ist, mal keinen Sex zu haben oder keine Lust zu haben. Auch das ist komplett normal. Wir leben alle in einer übersexualisierten Welt, sind aber alle ein bisschen underfucked. Wir haben vergessen, worum es beim Sex geht. Sex ist eine Kommunikationsform. Intimität ist eine Kommunikationsform. Bevor wir sprechen gelernt haben, haben wir uns wahrscheinlich schon selbst berührt. Wenn sich Affen gegenseitig Parasiten rausholen, ist das nicht nur, um die Parasiten loszuwerden, sondern um Intimität auszutauschen und Familienbanden zu schüren. Heute wird Intimität von vielen nur als ein Druckablassen verwendet. Intimität ist damit zum Massenprodukt geworden, was schade ist. Man sollte seine eigene Sexualität wertschätzen.

Es ist etwas komplett Natürliches. Es wäre unnatürlicher, wenn wir uns nicht darüber unterhalten würden.

Genau. Du sprichst ja auch darüber, was du isst. Wenn du ein geiles Rezept hast, will das ja auch jeder haben.

Das verrätst du aber trotzdem nicht, weil du willst, dass die Leute zu dir kommen.

(lacht) Stimmt! Ich verstehe auch, wenn Leute nicht darüber reden möchten. Aber es geht ja weiter, wenn wir den Krankheitsaspekt mitbetrachten. Ich hatte letztens ein Interview mit einer Frauenärztin. Sie meinte, dass viele Frauen bei Schmerzen – egal ob beim Sex oder bei Selbstbefriedigung – warten, bis sie damit zum Arzt gehen. Bevor sie das machen, befriedigen sie sich nicht mehr und haben keinen Sex mehr. Das ist dann manchmal halt schon ein bisschen spät, und das finde ich traurig. Man sollte in seinem privaten Umfeld öffentlich darüber reden können. 
»Ich masturbiere drei- oder viermal die Woche«

Gibt es ein Tabu für dich?

Es gibt keine Tabus.

Ich kann dich jetzt alles fragen. Bei welchem Thema würdest du »Nein, darüber rede ich nicht« sagen?

Wenn es eine zweite Person in meinem Privatleben inkludiert. Ich würde nicht detailliert über den Sex mit meinem Partner reden. Das ist meine Privatsphäre. Man kann im Groben und Ganzen auch so über Sex reden, ohne die Privatsphäre des anderen zu verletzen.

Wenn ich dich jetzt also frage, wie oft du in der Woche masturbierst, sagst du ...

... drei- oder viermal. Je nachdem. Das ist vom Zyklus abhängig. Das ist ja das Nächste. Viele Frauen trauen sich nicht zu sagen, dass sie ihre Tage haben. Ich sage das ständig. Wir haben uns vorhin kennengelernt, und ich habe dir gesagt, dass ich meine Tage bekomme, bevor das Interview begonnen hat. (lacht)

Stimmt.

Man muss aufhören, das zu tabuisieren.

Es kann ja auch ein Icebreaker vor einem Gespräch sein. Okay, du hast deine Periode.

Ja. (lacht) Vor meinen Tagen bin ich meist megahorny und masturbiere dann öfter. Manchmal bekomme ich aber auch Migräne und arbeite dann nicht. Ich arbeite mit meinem Körper und sehe mich als mit meinem Körper im Einklang lebendes Wesen. Deswegen nehme ich mir die Freiheit heraus, an den ersten beiden Tagen meiner Periode keine Termine zu vereinbaren. Ich schalte einen Gang runter, lege mich ins Bett, kuschle mit meinem Hund und schaue Netflix. Ich habe, Gott sei Dank, die Möglichkeit dazu, da ich mir mein Leben so gestaltet habe. Ich kann arbeiten, wann und wie ich will, auch wenn es manche Termine gibt, die ich wahrnehmen muss. Ich kenne viele Frauen, die extreme Regelbeschwerden haben und dann zig Schmerztabletten schlucken müssen, weil sie von der Arbeit nicht freibekommen. Wenn wir lernen, darüber zu reden, wird es auch akzeptiert werden, dass man vielleicht mal einen Tag frei braucht, weil man gerade zu viele Schmerzen hat. Stress ist ein Schmerzerzeuger. Wenn man weniger Stress hat, hat man weniger Schmerzen. Je gestresster ich bin, desto stärker merke ich das bei meinem Zyklus.

Weil man sich verkrampft, wenn man Stress hat.

Ganz genau!

Du hast jetzt darüber gesprochen, dass Masturbation und die Periode von Frauen tabuisiert werden. Welche Tabus haben Männer?

Ich glaube, Männer haben sehr wenig gelernt, über ihre Emotionen zu sprechen. »Ein echter Indianer spürt keinen Schmerz.« Das ist Bullshit-Erziehung von früher. Viele meiner männlichen Freunde haben mich als Freundin, weil sie mit mir offen über alles reden können. Wenn ich sie dann frage, ob sie dieses und jenes auch ihren besten Freunden erzählen, kommt nur: »Nein.« Ein Freund von mir ist superverliebt, aber vor seinen Jungs würde er nicht sagen, dass er das Mädel echt gerne mag. Vor den Jungs ist er dann der Coole: »Ja, na klar treffe ich sie wieder.« Das finde ich ein bissl schade. Männer fangen aber auch langsam an zu lernen. Vor allem ist es wichtig, dass sie es ihren Kindern beibringen, darüber zu reden, so sie Kinder haben wollen. Dann leben wir in einer schöneren Zukunft.

Ihr unterhaltet euch in eurem Podcast auch über Männertypen. In einer Folge habt ihr Männer kategorisiert.

Das war sicherlich die Folge über die Fuckboys.

Ich glaube, ja. Ihr habt Männer darin alleine vom Aussehen her kategorisiert und darüber gesprochen, wie sie ticken.

Ja, ich weiß schon. Wir haben darüber gesprochen, worauf wir bei Männern stehen. Die Folge wurde stark kritisiert. Finde ich aber super. Männer sprechen Jahrhunderte über Frauenkörper und darüber, was sie geil macht, und dann sprechen mal zwei Frauen darüber, was sie gut finden, und die Hölle ist los. Das wurde dann meine Lieblingsfolge. (lacht)
Interview mit Influencerin Leonie-Rachel Soyel

Im Interview mit Sexworkerin Fanny Kant habe ich gefragt, ob – gemäß dem Buch »Vorsicht, bissig!« von Alexandra Rath – Männer mit Hunderassen verglichen werden können. Sie meinte, dass das nicht gehe, weil es das Rassenthema sprengen würde. Was ist deine Meinung?

Jeder Mensch ist ein Individuum und verschieden. Jeder hat seine eigenen Probleme. Dennoch glaube ich, dass es passende Kategorien gibt. Vor allem, wenn Männer noch sehr jung sind. Sie stecken sich dann ja selber gerne in Schubladen. Auch ich als junger Mensch habe mich in eine Schublade gesteckt. Das war damals die Emo-Szene. Da wollte man so sein, wie alle Emos halt so waren. Wenn wir die Kategorie »Fuckboy« hernehmen: Ich glaube, dass viele Typen Anfang zwanzig gerne Fuckboys sind, weil sie cool und lässig sein wollen. Letztens war ich mit einer Freundin unterwegs, die deutlich jünger ist, als ich es bin. Sie hat mir von ihrem Typen erzählt. Dann habe ich ihn gesehen und wusste, dass das ein Fuckboy ist. Das stand dem schon auf der Stirn. Auch seine Unsicherheit war ihm anzumerken.

Kann er ein Fuckboy sein, wenn er unsicher ist? Kann er dann überhaupt hart seinen Mann stehen?

Die stehen ja nicht hart ihren Mann, weil sonst wären sie ja keine Boys.

Gut, Punkt für dich. In welche Kategorie ordnest du mich ein?

Ich kenne dich noch nicht. Wir müssten das Interview umgekehrt machen, damit ich mehr über dich herausfinde. (lacht)

Können wir gerne machen. Aber hat man nicht schon innerhalb von Millisekunden eine Meinung und Einstellung zu jemandem?

Wir haben eigentlich keine Kategorien. Ich bin auch Yoga-Lehrerin und probiere daher immer, den individuellen Menschen zu sehen. Manche Leute verharren halt gerne ihr ganzes Leben in gewissen Kategorien. Man muss sich von diesen ganzen Ego-Sachen lösen, um zu seiner wahren Seelenaufgabe zu kommen. Solange man sich am Aussehen und an Verhaltensweisen festhält, funktioniert es nicht. Man wird am Ende des Tages nicht sehr glücklich sein, wenn man all das nicht loslässt.

Exemplarisch würde ich dir nun gerne zwei Fragen aus eurem Podcast stellen: Was war dein lustigster One-Night-Stand und wie lange hältst du es ohne Sex aus?

Ich habe 40 Tage Männerfasten gemacht, das war der längste Zeitraum. Davor war ich aber auch immer in Beziehungen oder hatte Gspusis. Daher fällt es mir schwer zu sagen, wie lange ich es aushalte. Es würde wahrscheinlich auch länger gehen. 

Der lustigste One-Night-Stand: Ich habe ein Expedit umgeworfen. Wir waren beide sehr betrunken und es war eine Vollmondnacht. Wir haben uns an das Expedit, das ein Raumtrenner war, angelehnt, und dann ist dieses Riesenteil einfach umgefallen und hat das ganze Haus aufgeweckt. Das war ganz lustig.

Wenn du dir aussuchen könntest, wie lange du in den Körper eines Mannes schlüpfen könntest: Wie lange wäre es und was würdest du machen?

Ich glaube, 40 Tage. So lange braucht man, um eine Gewohnheit zu ändern, sagt man zumindest. So lange würde ich mir das ansehen. So wie ein Zyklus, um zu sehen, ob Männer das nicht auch irgendwie haben.

In gewisser Weise sicher.

Das würde ich mir ansehen wollen. Und ich würde urviel Sex haben, um zu sehen, wie das ist!

Wie glaubst du, dass es ist?

Ich glaube, dass es anstrengender ist, als viele Frauen glauben. Viele Frauen entmenschlichen Männer. Die sind nicht mit ihren Emotionen connectet. Daher werden sie halt so gesehen. Ich glaube, dass bei einem Mann ganz viel Schmerz dahintersteckt. In meiner Vorstellung als Frau haben viele Männer den Druck, dass es der Frau gefallen muss. Zumindest wird mir das in meinem Umfeld gesagt. Wenn Männer jemanden kennenlernen und sie geil finden, gibt es schon mal den Druck, dass sie nicht zu schnell kommen. Die toxische Männlichkeit spielt hier mit. Dieses »Ich muss hier jetzt gut performen!«.

Freut man sich als Frau – gerade am Anfang, nicht unbedingt in der Beziehung –, wenn der Mann einen so geil findet, dass er sich nicht zurückhalten kann und er schnell kommt?

Ich denke meist nicht so. Ich persönlich komme relativ schnell, weswegen mir das auch relativ wurscht ist. Es sind ja beide aufgeregt und fragen sich, ob sie der anderen Person gefallen. Deswegen trinken so viele Leute wahrscheinlich Alkohol. Die meisten Leute haben ihren ersten Sex doch unter Alkoholeinfluss. Bei einem Date trinkst du Alkohol, was ein Nervengift ist. Wenn man sich überlegt, wie oft man Sex ohne Alkohol hat, dann ist es eigentlich richtig arg. Das geht ja gegen null. Offenbar sind es also verspannte Situationen, in denen man Entspannung sucht.

Bevor die eigentliche Entspannung eintritt.

Ja. (grinst) Aber gut, wenn ein Typ zu früh kommt, ist es auch okay.

Was ist zu früh?

Das kommt darauf an. Wenn man gewohnt ist, eine Stunde Sex zu haben, ist es nach 15 Minuten wahrscheinlich auch schon zu früh. Der Durchschnitt hat aber nur 12 Minuten Sex. Dieses Zu-Früh oder Zu-Spät ... genau dadurch entsteht ja dieser Stress. Frauen sind ja auch gestresst, wenn sie das erste Mal oben sind, weil sie glauben, jeder Typ schaut dann etwas an, was dann nicht mehr so schön aussehen könnte.

Ganz ehrlich: Die Typen sind total abgelenkt, wenn die Frau oben ist, und suchen nicht nach irgendwelchen Makeln. Und wenn, dann finden sie den Makel meist geil, weil sie ja sonst nicht mit ihr schlafen würden.

(lacht) Ja, eh! Das versuchen wir, meist jüngeren Frauen klarzumachen. Sobald ein Typ dich nackt sieht, denkt er wahrscheinlich nicht darüber nach, ob du Zellulitis oder sonst was hast. Die wenigsten Männer machen sich darüber Gedanken. Mir wäre noch nie untergekommen, dass einer gesagt hätte: »Ui, du hast Zellulitis, bitte geh jetzt!«

Du bloggst seit 16 Jahren, also die Hälfte deines Lebens. Wohin geht’s die nächsten 16 Jahre?

Das darf ich nicht verraten.

Aber du weißt es schon.

Ja, ich weiß es schon.

Wann beginnt die Reise?

Einmal im Herbst und einmal im Jänner.

Lieblings-

Buch: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins (Milan Kundera) 
Song: Just like a Woman (Bob Dylan)
Schauspieler/in: Der frühere Johnny Depp.
Motto: Lebe jeden Tag so, als wärst du das Letzte!
Autor/in: T. C. Boyle
Serie: Friends, Alf
Stadt: Berlin
Land: Zypern
Gericht: Schinkenfleckerl, gefüllte Artischocken 
Getränk: Kaffee, Rotwein, Gin Tonic

Persönliches Mitbringsel

Mein Hund, Waldi. Er ist mein treuester Gefährte seit bald sechs Jahren. Er bereichert mein Leben ungemein. Durch ihn habe ich eine Struktur in meinem Leben, die mir durch meine Borderline-Persönlichkeitsstörung oft gefehlt hat. Er hat mir oft geholfen, aus dem Bett zu kommen, wenn ich es selbst nicht geschafft hätte.

Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche

Schönstes: Eine Demo, die eigentlich wie ein Rave war. Es war schön, mal wieder laute Musik zu hören und zu tanzen.
Negativstes: Die Abreise von jemandem, den ich sehr gerne mag.

Berufswunsch als Kind

Piratin oder Kunstdiebin

Wen wolltest du immer schon einmal treffen?

Drei Menschen, wobei zwei davon schon tot sind. Marie-Antoinette, Janis Joplin und Bob Dylan. Wobei ich Bob Dylan gerne 1969 getroffen hätte.

Teenie-Schwarm

Johnny Depp

Café-Bestellung

Cappuccino

Ort des Interviews

Akrap Finest Coffee
Das Akrap ist ein kleines Ecklokal und befindet sich in der Königsklostergasse 7 in 1060 Wien. Neben Coffee to go und diversen Kaffeeröstungen aus Uganda und Brasilien bietet das Akrap auch Espressomaschinen, Kaffeevollautomaten und Zubehör, wie Kaffeefilter oder Tassen, an.