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Sängerin Jazz Gitti im Interview
 
       
       
Jazz Gitti

Sängerin & Unterhaltungskünstlerin

Kultur
04.04.2022
Jazz Gitti wurde 1946 in Wien geboren und ist seit mittlerweile über 40 Jahren fixer Bestandteil der österreichischen Musikszene. Anfang der 80er wirkte sie bei Auftritten der anarchischen Punkrock-Band Drahdiwaberl mit, seit den 90ern veröffentlicht sie regelmäßig eigene Alben. Neben ihrem musikalischen Schaffen wirkte sie über die Jahre immer wieder in unterschiedlichen Fernsehsendungen mit, wie beispielsweise »Tohuwabohu«, »Kaisermühlen Blues« oder »Horvathslos«. Vor ihrem künstlerischen Durchbruch war Jazz Gitti Kellnerin im legendären Café Alt Wien und Besitzerin ihres eigenen Jazzclubs.

Es gibt so viele Trotteln auf der Welt.

Ja, die jetzige Zeit hat uns das sehr stark gelehrt.

Dein Song, auf den der Satz anspielt, ist schon etwas älter als die aktuelle Zeit.

Trotteln gab es schon immer, jetzt aber haben sie sich vermehrt und demonstrieren auch noch.

Warum haben sie sich, deiner Meinung nach, in den letzten Monaten so stark vermehrt?

Schau ... wir haben eine Pandemie, das ist klar. Es ist aber auch klar, dass wir sie bekämpfen müssen. Wir haben eine Impfung – manche Leute nehmen sie, manche wollen sie nicht. Ist ja okay, weil wir, Gott sei Dank, in einer Demokratie leben. Jeder kann seine Meinung sagen und das machen, was er glaubt, das richtig ist. Wenn man sich nicht impfen lässt, schadet man der Gesellschaft – oder auch nicht, ich weiß es nicht. Wozu muss ich dazu aber demonstrieren gehen? Man sieht jetzt bei einer mittlerweile höheren Durchimpfungsrate, dass sowohl die Geimpften Corona bekommen als auch die Ungeimpften, wobei die einen schwereren Verlauf haben. Es ist das Risiko eines jeden Einzelnen, aber brennen müssen wir es alle! Aber okay, das ist der Preis für die Demokratie, den wir zahlen wollen und meiner Meinung nach auch zahlen müssen. Dass sich dann aber Leute unter die Demonstrierenden mischen, die ganz andere Anliegen haben, finde ich nicht in Ordnung. Irgendeinen Schaden haben die im Hirn. Die demonstrieren für Freiheit und Toleranz, haben sie selbst allerdings nicht. Daher ist mein Lied aktueller denn je.

Du bist dreimal geimpft und hast bei Impfwerbespots der Regierung und der »Initiative Österreich impft« mitgemacht.

Ich möchte gleich feststellen, dass ich für diese Spots kein Geld bekommen habe! Vertreter der Bundesregierung haben mich angerufen und mich gefragt, ob ich das machen möchte. Ich habe zugestimmt, habe allerdings nie behauptet, dass man sich impfen lassen muss oder soll. Ich habe eine Empfehlung ausgesprochen, womit jeder seine Entscheidung treffen kann.
»Mit den Konsequenzen der eigenen Handlungen ist man immer allein«

Es gibt viele Leute des öffentlichen Lebens – Wissenschaftler, Ärztinnen, Künstler –, die angefeindet werden, weil sie sich öffentlich pro Impfung positioniert haben. Hattest du Bedenken oder hast du negative Erfahrungen gemacht?

Ein paar haben geschrieben, dass ich für Geld alles mache. Das ist mir aber wurscht! Ich habe immer mein Ding durchgezogen. Ich prüfe vorab, ob es für mich richtig ist oder nicht. Wehtun möchte ich sowieso niemandem, auch wenn man leider nicht zu jedem gut sein kann, weil man im Lauf seines Lebens manchen Menschen wehtut. Das ist eben so und ist auch nicht vorsätzlich. Die Toleranz, die ich für andere habe, fordere ich auch für mich ein. Wenn man sich für etwas engagieren möchte, soll man das tun. 

Ich habe meine Mutter sehr früh verloren, aber sie hat mir ein paar Sprichwörter und Weisheiten mit auf den Weg gegeben. Sie meinte, dass ich machen kann, was ich will. Ihr zweiter Spruch war, dass ich mich nicht dabei erwischen lassen darf. Nummer drei: Ich muss immer damit rechnen, dass man mich erwischt. Und zu guter Letzt sagte sie mir, dass ich die Konsequenzen zu tragen habe. Daher sollte ich immer vorher gut überlegen, was ich mache. Denn mit den Konsequenzen der eigenen Handlungen ist man immer alleine. Die muss man alleine durchstehen, und daher sollte man sich vorher fragen, ob man das möchte oder nicht. Damit ist aber auch alles geklärt. Einer, der es nicht im Hirn hat, hat es nirgends – auch das war eine Aussage meiner Mutter. Mit diesen Sprüchen habe ich es gut durchs Leben geschafft.

Du bist Anfang der 60er nach Israel ausgewandert. Warum?

Ich bin nach Israel, als ich meine Mutter verloren habe – das war mit 14 Jahren. Ursprünglich hat sie mir erzählt, dass ich einen Onkel in Syrien habe, zu dem ich immer kann, sollte etwas passieren. Sie hat zu Lebzeiten niemals von Israel gesprochen, weil sie nicht wollte, dass man mich in der Schule als Saujude beschimpft. Auch wenn der Krieg schon vorbei war, war diese Angst immer noch präsent bei der Generation meiner Mutter. Sie meinte immer: »Egal, was sie dir erzählen, es war noch viel schlimmer!« Als ich meine Mutter verloren habe, war ich böse auf sie, weil ich dachte, sie hätte mich verlassen. Ich war mitten in der Pubertät, habe es einfach nicht kapiert und war saudeppert. 

Ich bin dann also nach Israel zum Bruder meiner Mutter und habe dort am Bauernhof gearbeitet. Ich bin mit einem Maultier über die Felder gefahren und dachte, ich bin Ben Hur. (lacht) Die Kinder dort haben mich gut aufgenommen. Sie haben gehört, dass es da so eine Dicke aus Wien gibt, die Gitti heißt, tanzen und singen kann. Als ich dann 15 geworden bin, hat sich mein Vater gemeldet und meinte, dass er ein Kaffeehaus für mich mit dem Namen »Espresso Gitti« am Mexikoplatz aufgebaut hat und ich dort arbeiten soll. Als brave Tochter bin ich dann wieder heimgefahren. 

Mit 17 habe ich eine Hochzeitseinladung meiner Cousine aus Israel bekommen. Und dann bin ich dortgeblieben. Als mein Onkel meinte, dass ich ein wildes Pferd sei, das man zurechtreiten muss, habe ich ihm gesagt, dass er reiten kann, wen er möchte, und bin abgehauen. Als jüdisches Kind aus Wien habe ich einen Job und eine Wohnung bekommen.
Jazz Gitti im Interview mit Kaffee und Kuchen

Und warum bist du Anfang der 70er wieder zurück nach Wien?

Ich habe meinen damaligen Mann, den Herrn Butbul, kennengelernt und meine Tochter, die Shlomit, bekommen. Als ich gemerkt habe, dass mir der Herr Butbul viel erzählt hat, was so nicht stimmt, und das für Shlomit nicht gut war, habe ich zusammengepackt. Es war ein Fehler, mich auf ihn eingelassen zu haben. Das einzig Gute an ihm war, dass er mir die Shlomit gemacht hat. Er war kein schlechter Mensch, aber er war nicht erzogen, was auch kein Wunder war bei dem Leben, das er als Jugendlicher hatte. Das kann man alles in meinem Buch »Ich hab gelebt« nachlesen.

Als deine Tochter deine Biografie gelesen hat, soll sie zu weinen begonnen haben.

Wo hast du das gelesen?

In der Presse ... kann das sein?

Ich weiß es nicht, vielleicht haben sie ein Interview mit ihr gemacht, das ich nicht kenne. Ich habe ihren Vater nie schlecht vor ihr gemacht. Sowohl Shlomit als auch ich können es nicht leiden, wenn uns jemand belügt. Und ihr Vater war leider ein notorischer Lügner. Heute weiß ich, dass er nichts dafür kann. Damals war ich zu jung, um das zu kapieren, auch wenn ich für mein damaliges Alter ein schlaues Kerlchen war. Jedenfalls hat er Shlomit einmal angelogen und sie war daraufhin völlig entsetzt. Ich meinte nur, dass er halt so ist und ich deswegen nicht mehr mit ihm zusammensein möchte. Das hat sie verstanden. Trotzdem ist er natürlich ihr Papa geblieben. Als er noch gelebt hat, hat sie ihn in Israel besucht und er war für sie da. Er war kein schlechter Mensch und hatte eine großartige Mutter, die ich geliebt habe. Sein Vater war allerdings der Teufel, der seinen Buben zerstört hat!

(Anm.: Während des Interviews wurde Jazz Gitti von ihrer Tochter Shlomit angerufen. Auf Rückfrage von Jazz Gitti wurde bestätigt, dass ihre Biografie Shlomit wirklich zum Weinen gebracht hat.)

Mein Kind ist eine tolle Person, die ich ganz toll hinbekommen habe und auf die ich stolz bin. Sie ist eine toughe Göre und ein ganz toller Mensch.

Zu deiner Anfangszeit bist du mit Drahdiwaberl aufgetreten. Das Publikum wurde unter anderem mit Sadomaso-Kleidung und Fellatio auf der Bühne geschockt.

Mit was?!

Blowjobs.

Na, na, das war später! Solange ich dabei war, ist das nicht passiert. Also, Sadomaso schon. So, Moment, ich erkläre dir jetzt mal, wie das damals war. Für meine Größe war es damals schwer, Netzstrümpfe zu bekommen. Stefan Weber hatte immer verschiedene Anhänger auf seiner Kleidung – Fische, Totenköpfe und so Zeugs. Bei einem Auftritt hat er sich dann so auf mich drauf’ghaut als ob er mich bumsen würde, und mir gesagt: »Gö, Gitti, heute hammas wieder lustig!« Hab ich ihm gesagt: »Pass lieber ein bissl auf, dass du mir meine Netzstrümpfe nicht zerreißt!« (lacht) Es waren ganz liebe und intelligente Menschen und Musiker in der Truppe. Als es dann später bei Drahdiwaberl so richtig ausgeartet ist, war ich nicht mehr dabei. Da sind dann Leute dazugekommen, die nicht nur persifliert haben, sondern wirklich so waren. Eine davon war eine ehemalige Schönheitskönigin von Niederösterreich. Die hat sich einen Klobesen eingeführt und auf die Bühne gepinkelt. Ich sollte mich dann reinlegen. Na sicher nicht!

Ein anderes Mal wurde Bernhard Rabitsch von Leuten aus dem Publikum angespuckt und mir wurde, als ich mit einer Corsage auf der Bühne gelegen bin, eine Zigarette auf meine Vagina geworfen. Ich hab einen brennenden Schmerz gespürt und gesehen, dass es da unten rausgeraucht hat. Ich hab sie genommen, ausgedämpft und mich gefragt, ob die eigentlich alle deppert sind. Die Zeiten haben sich schon geändert. 

Findest du es schade, dass sich die Zeiten geändert haben?

Mir tut’s leid, dass Stefan nicht mehr lebt. Er war ein guter Kopf! Würde es Drahdiwaberl heute noch geben, wären die Wadeln ordentlich nach vorne gerichtet. Wer regt sich heute noch über einen Porno auf? Die heutige Politik ist in Wirklichkeit schlimmer als Drahdiwaberl.
»Die heutige Politik ist in Wirklichkeit schlimmer als Drahdiwaberl«

Ich kann mich noch daran erinnern, als ich als Kind »Tohuwabohu« im Fernseher verfolgt habe und fasziniert von der Sendung war, obwohl ich überhaupt nicht wusste, worum es überhaupt ging.

Ich auch nicht! (lacht)

Helmut Zenker hat mich damals angerufen und gefragt, ob ich mitmachen möchte. Mit Stefan Weber war das genauso. Beide habe ich gefragt, was ich machen soll. Beide haben gesagt: »Was du willst.« Anfänglich hat Helmut Zenker noch für Tohuwabohu geschrieben. Später sind immer mehr Leute dazugekommen und jeder hat gemacht, was er wollte. Ich bin keine gelernte Schauspielerin und auch keine gelernte Sängerin. Ich bin eigentlich nix. Ich tu das, was ich gerne mache, und das so gut, wie ich es halt verstehe.

Dann bist du ein ...

... Naturtalent.

Oder der Prototyp einer Lebenskünstlerin.

Ich sehe mich nicht als Lebenskünstlerin, weil ich nie gekünstelt, sondern immer schwer gearbeitet habe. Ich mache das gern und war immer schon ein Kasperl.
Sängerin Jazz Gitti im Interview im Café Prückl

Seiler und Speer treten mit Wolfgang Ambros auf. Thomas Rabitsch betont den guten Draht zu Marco Michael Wanda. Der Nino aus Wien und Ernst Molden kollaborieren regelmäßig. Du hast ein gemeinsames Projekt mit Voodoo Jürgens umgesetzt. Wird einfach Erfahrung weitergegeben? Wollen die Alten nochmals jung wirken und ins Rampenlicht? Ist es für die Jungen das Suchen eines Ritterschlags?

Du tust ein bissl zu viel hirntschechern. Das Management von Voodoo Jürgens hat bei meinem Manager und Lebensgefährten Roman Bogner angerufen und gefragt, ob wir etwas gemeinsam machen wollen. Ich habe Udo Jürgens verstanden und dachte mir: »Mit dem würde ich gerne singen, aber leider ist der Oide bereits tot.« Sagt er zu mir: »Voodoo Jürgens, nicht Udo Jürgens!« Den habe ich mir dann auf YouTube angeschaut, weil ich ihn nicht kannte, und dachte mir, dass das eigentlich ganz lustig ist, was der macht. Wir haben dann in einer grindigen Bude gedreht und haben uns gut verstanden. Später hat mich Voodoo gefragt, ob ich zu einem seiner Konzerte in die Arena Wien kommen möchte. Als ich auf die Bühne rauf bin, um den Refrain mitzusingen, haben alle laut »Gitti, Gitti« gerufen. Die kannten alle die Texte, ich bin herumgesprungen, und es war eine voll gute Stimmung. Das war echt ein schönes Erlebnis! Ich dachte gar nicht, dass die mich alle kennen.

Du wirst im Mai 76. Wie geht es weiter mit Jazz Gitti? Folgen noch weitere Alben, Bücher und Auftritte, oder wird es die nächsten Jahre ruhiger?

Es gibt ein ganz tolles Weihnachtslied, bei dem die Melodie sehr ins Ohr geht. Wegen Corona musste die Produktion verschoben worden. Es wird dieses Jahr rauskommen und sicher ein Renner werden, weil es einfach leiwand ist. Und ein Best-of-Album wird auch kommen.

Lieblings-

Buch: Im Moment keines. Ich spiele Karten.
Film: Liebeskomödien, aber keine im Speziellen.
Song: Alles von Ella Fitzgerald.
Schauspieler/in: Habe ich nicht.
Motto: Es ist, wie es ist, und machen wir das Beste daraus.
Autor/in: Eine jüdische Autorin, die in New York schreibt und Tochter eines Schoah-Überlebenden ist. Ihren Namen haben ich leider vergessen.
Serie: Modern Family
Stadt: Wien
Land: Österreich
Gericht: Mir schmeckt eigentlich alles, das ist mein Problem. Immer wenn ich etwas Süßes gegessen habe, möchte ich etwas Scharfes und umgekehrt. Deshalb habe ich so eine gute Figur, mit der ich mein ganzes Leben kämpfe.
Getränk: Wenn ich Durst habe, am liebsten Wasser. Ansonsten ein gutes Glas Wein oder auch gerne Apfelsaft.

Persönliches Mitbringsel

Ich habe mich mitgebracht, das wird ja wohl reichen. (lacht)

Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche

Daran erinnere ich mich nicht. Ich bin schon so alt, dass mein Kurzzeitgedächtnis passé ist. (lacht)

Berufswunsch als Kind

Nix. Ich wollte einen lustigen Mann, fünf Kinder und eine Villa Kunterbunt.

Wen wolltest du immer schon mal treffen?

Alle, die ich treffen wollte, habe ich getroffen.

Teenie-Schwarm

Peter Kraus, Elvis Presley, Brigitte Bardot, Ted Herold

Café-Bestellung

Cola light, Apfel-Mohn-Kuchen mit Schlagobers und ein großer Verlängerter mit doppelter Milch.

Ort des Interviews

Café Prückel
Das Café Prückel liegt am Wiener Stubenring und zählt zu den zahlreichen Wiener Traditionskaffeehäusern. 1904 hat es als Café Lurion gestartet, 1908 wurde es der Familie Prückel verkauft, 1919 an die Familie Sedlar und nach 1945 wurde es einige Zeit als Pferdestall verwendet. In den 1950ern erhielt das Café sein heutiges Interieur, in den 1990ern wurde es renoviert. Heute wird es von Christl Sedlar geführt, die es im Jahr 1960 von ihrem damals verstorbenen Vater, gemeinsam mit dessen Witwe, übernommen hat. Das Prückel ist allerdings nicht nur ein klassisches Wiener Café, sondern beheimatet im Keller ein Theater mit 125 Sitzplätzen.