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Poetry-Slam-Organisatorin Diana Köhle im Café
 
       
       
Diana Köhle

Poetry-Slam-Organisatorin

Kultur
25.05.2020
Diana Köhle ist Poetry-Slam-Organisatorin und das sozusagen seit erster Stunde. Die gebürtige Tirolerin veranstaltet und moderiert Poetry Slams seit 2004, und das mittlerweile in fast allen Bundesländern Österreichs. Ihre bekanntesten Formate sind der Slam B sowie der Tagebuch Slam.

Wie würdest du deine beiden Formate – den Slam B und den Tagebuch Slam – in jeweils maximal 3 Sätzen beschreiben?

Slam B ist ein Dichter- und Dichterinnenwettstreit, bei dem Leute fünf Minuten lang ihre eigenen Texte präsentieren auf einer Bühne. Das Publikum ist Jury per Applaus.

Der Tagebuch Slam ist ein Sonderformat, das mir eingefallen ist als »b’soffene G’schicht«. Leute lesen dabei aus ihren Originaltagebüchern vor, idealerweise aus der Jugend, und das Publikum ist auch hier die Jury. Es zeigt, dass die schönsten Geschichten das Leben schreibt.
»Ich habe etwas gegen Sexismus, gegen Rassismus und gegen Homophobie«

Ist auf deinen Bühnen alles erlaubt oder schreitest du auch mal ein?

Es ist eigentlich alles erlaubt. Ich habe in elf Jahren bis dato 96 Slam Bs moderiert. Zweimal musste ich dabei jemanden von der Bühne schicken. Wenn man bedenkt, dass jedes Mal zwölf Leute auftreten, ist das ein recht guter Schnitt.

Der erste Typ hat randaliert, den Notenständer ins Publikum geworfen, sich ausgezogen und mich als auch das Publikum beschimpft. Das war der Sänger von Wanda. Ein Freund von ihm hat mir dann noch eine E-Mail geschickt und hat sich dafür entschuldigt, was er auf der Bühne gemacht hat. Ich habe übrigens Nacktfotos von seinem Auftritt. (grinst)

Das zweite Mal hat einer ungut zu schimpfen begonnen. Es war eine ähnliche Situation.

Bei den Texten würde ich nicht eingreifen. Wobei mir schon wichtig ist, dass das nicht in eine politisch unkorrekte Richtung geht. Aber ich bin ja auch nicht die Jury. Das ist also nicht meine Aufgabe. Meine Prinzipien habe ich schon. Ich habe etwas gegen Sexismus, gegen Rassismus, und gegen Homophobie.

Beim Tagebuch Slam wurde noch nie jemand disqualifiziert, und dort habe ich schon 192 Veranstaltungen gehabt. Die Regel dort ist allerdings, dass es nichts Aktuelles sein darf, sondern mindestens fünf Jahre alt sein muss. Das ist, finde ich, wichtig, damit man sich nicht zu sehr entblößt. Nach fünf Jahren kann man schon einen Abstand zu seinem damaligen »Ich« haben.
Diana Köhle beim Interview im Café Eiles

Wie oft denkst du dir bei Slams: »Bitte, schreib nie wieder einen Text und gib mir sofort wieder das Mikrofon«?

Nicht oft. Ich finde, fünf Minuten sind erträglich. Poetry Slam ist eine offene Bühne, um sich auszuprobieren. Es ist nicht meine Aufgabe zu bewerten.

Ist es über die Jahre vorgekommen, dass heute bekannte Persönlichkeiten sich bei dir ihre ersten Sporen verdient haben und mittlerweile auf der Kabarett-Bühne stehen oder Bücher veröffentlicht haben?

Ganz viele, ja. Mittlerweile liest fast jedes Jahr jemand beim Bachmann-Preis, der auch schon mal bei mir auf der Bühne gelesen hat. Ich mache das mittlerweile seit 2004 und habe einige kommen und gehen sehen. Von Musikern und Musikerinnen. Von Autoren und Autorinnen. Von Kabarettisten und Kabarettistinnen. Den Nino aus Wien beispielsweise kenne ich, seit er mit 16 auf der Bühne gestanden ist. Oder Yasmo. Oder Paul Pizzera. Oder Hubert Weinheimer. Oder Berni Wagner. Das sind alles Leute, die Musik machen und schreiben und sich auch mal ausprobieren mussten. Davon gibt’s ganz viele. Einen Text auszutesten und auszuprobieren, wie das Publikum reagiert, ist für viele wichtig. Oft geht’s dann auch in andere Richtungen und sie bleiben nicht beim Poetry Slam.

Welche Auftritte der letzten 16 Jahre sind dir prägend in Erinnerung geblieben?

Meine jüngste Teilnehmerin beim Slam B war 14 und mein ältester Teilnehmer beim Slam B war 81. Das ist mir schon auch wichtig, das Generationsübergreifende. Letztes Jahr hat eine Teilnehmerin, die Lore, ihren 80. Geburtstag mit einem Auftritt gefeiert. Das ist schon schön, so etwas.

Ganz berührend war der Auftritt eines 90-jährigen beim Tagebuch Slam. Da hat er vorgelesen, wie er im Ottakringer Bad war und eine Frau vom Turm runtergesprungen ist und ihr Bikini-Oberteil verrutscht ist. Das war dann jahrelang seine Frau.

Stichwort »Tagebuch Slam«. Ich war überrascht, wie offen Menschen auf der Bühne vor Publikum aus ihrem Tagebuch vorlesen und wie generationsübergreifend manche Inhalte beschäftigen. Beim Thema »Liebe« zum Beispiel scheint es egal zu sein, ob jemand 15 oder 75 ist – da dürfte es allen gleich gehen, wenn man die Tagebucheinträge hört.

Ja. Und das ist auch das Schöne zu sehen. Ich habe ganz lange geglaubt, dass der Tagebuch Slam bei Jüngeren nicht funktioniert, weil sie sich gerade in dieser Phase befinden. Aber das stimmt nicht. Denen tut das gut, wenn sie sehen, »Meiner Mama oder meiner Oma ist es genauso gegangen«. Das ist immer gleich. Es haben sich nur die medialen Mittel zur Kommunikation verändert. Was es nicht immer einfacher macht. Früher hast du dir mit jemandem was ausgemacht und es hat gehalten. Jetzt kannst du hundertmal absagen. Eines der schönsten Zitate dazu: »Reinhard hat mir gestern einen Schilling gegeben, damit ich ihn morgen aus der Telefonzelle anrufen kann.« Das hat die Renate, eine mittlerweile über 70-jährige Frau, beim Tagebuch Slam vorgelesen.

2014 ging ein Poetry-Slam-Video von Julia Engelmann viral und wurde millionenfach aufgerufen. Ich hatte das Gefühl, dass Poetry Slam damit erstmals einer großen Öffentlichkeit bekannt wurde. Hatte man damit in der Szene das Gefühl, in der breiten Masse angekommen zu sein?

Ist man immer noch nicht, aber man muss nicht mehr jedem erklären, was Poetry Slam ist. Es ist immer noch eine Nische, auch wenn man mittlerweile, wenn nicht gerade Corona ist, jede Woche auf mehrere Poetry Slams gehen kann.

Welchen Poetry Slammer oder welche Poetry Slammerin hättest du gerne mal bei dir auf der Bühne und warum?

Marc Kelly Smith. Das ist der Urvater, der Gründer, von Poetry Slam 1986 in Chicago im Green Mill Club. Den habe ich noch nie live erlebt. Wenn, dann ihn.
Diana Köhle mit ihrem Tagebuch

Welches persönliche Mitbringsel hast du mitgenommen?

Mein Mitbringsel ist natürlich mein erstes Tagebuch, mit dem alles begonnen hat. Ein kitschiges lila Minni-Mouse-Tagebuch mit Schloss dran. Ganz wichtig! Ich war mit meiner Mama einkaufen in Imst und da hat es einen Wühlkorb gegeben mit Tagebüchern drinnen. Ich hab’ zu meiner Mama gesagt, dass ich gerne eines hätte. Sie hat gefragt: »Warum? Du schreibst ja eh nicht.« »Doch, wenn ich das bekomme, schreibe ich Tagebuch.« Und so habe ich das begonnen. Mein erster Eintrag war 1989 mit ersten Liebesbriefen. Dann 90, 91 und 92. Man merkt also, wie fleißig ich geschrieben habe … einmal im Jahr. Und dann, ab 95, kam die Geschichte mit Christian, der mir das Herz gebrochen hat. Dem ich jetzt aber sehr dankbar bin, weil ich wegen ihm dann viel Tagebuch geschrieben habe. Jahre später habe ich die Geschichte wieder gelesen vom ersten Kuss, habe mich darüber amüsiert und die Idee vom Tagebuch Slam gehabt.

Willst du davon vielleicht eine kurze Passage vorlesen?

Will ich dir davon eine Passage vorlesen …

»Er hat mich auch einmal kurz angesprochen und gesagt: »Hey Partner!« Wir haben nämlich beide eine Zahnspange. Aber er nur oben. Die Zeit verging und das Wetter wurde schlechter. Ich setzte mich auf die Bank vor die Garage und kurz darauf waren auch er und ein anderer Freund von ihm neben mir. Ich kam dann mit ihm ins Gespräch und war sehr froh darüber. Wir verstanden uns gleich gut und er machte mir einige Komplimente wegen meinen langen Haaren und der super Kleidung. Ich hatte mein Jeanskleid und das rotes Sisley-T-Shirt und die Big-Star-Schuhe an.«

Und dann geht es weiter bis zum ersten Kuss um Mitternacht …

»Dort blieben wir einige Zeit im Dunkeln und es war sehr romantisch. Wir unterhielten uns super und kamen uns immer näher. Nun saßen wir da unter dem Sternenhimmel (umarmt). Er ist total süß, aber etwas betrunken. Er sagte, dass er mich total nett findet und ich eines der nettesten Mädchen in Nassereith bin. Ich fühlte mich echt geschmeichelt. Er ist ja so süß. Mittlerweile waren wir auch ganz alleine und es war echt kuschelig. Total supernett. Schön, ein Traum. Als die anderen wiederkamen, gingen wir wieder einen Sprung in die Bar, und dann musste er heim. Doch er will fragen, ob er noch länger bleiben darf. Ich entschloss mich, ihn zu begleiten. Inzwischen gingen wir sogar schon Hand in Hand durch die Straßen. Beim Maiebrunne verabschiedeten wir uns. Wir sahen uns ganz tief in die Augen. Und es war ganz still, denn keiner sagte etwas. Wir waren richtig schüchtern. Doch dann passierte es. Er sagte etwas ganz ruhig und ich verstand ihn nicht. Doch er wiederholte es nicht mehr. Nun geschah es. Mein erster Zungenkuss um circa 24 Uhr. Wir waren einfach zusammen und es war eigentlich ganz schön und ganz aufregend. Bis auf die Zahnspangen.«
Diana Köhle liest aus ihrem Tagebuch

Sehr schöne Einblicke! Willst du damit noch etwas mit auf den Weg geben?

Schreibt’s Tagebuch und sucht’s eure alten Tagebücher raus und lest’s rein!

Lieblings-

Buch: Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber (Michaela Karl)
Film: Basquiat, Parasite
Song: Nothing compares to you (Sinéad O’Connor), What's going on (Soap & Skin)
Schauspieler/in: August Diehl
Motto: Lieber Sachen machen, als im Nachhinein zu bereuen, es nicht gemacht zu haben
Autor/in: Sibylle Berg
Serie: Sex Education, Californication
Stadt: Kyoto
Land: Japan
Gericht: Fleischlaberl mit Püree von meiner Mama
Getränk: antialkoholisch Cola light und alkoholisch Gin Tonic

Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche

Schönstes: Hoffnung hat mir gegeben, als gesagt wurde, dass im Kulturbereich die Bühnen wieder eröffnet werden. Da habe ich mich kurz ein Stück weit gefreut, weil damit mein im März ausgesprochenes Berufsverbot (Anm.: Corona-Lockdown) zu Ende sein wird.

Negativstes: Aufgeregt hat mich dann der Auftritt von Klein-Messias im Kleinwalsertal. Weil ich mich sehr verarscht gefühlt habe, da ich existenziell an meine Grenzen gekommen bin und nicht ausführen durfte, was ich gerne mache. Was ich auch verstehe und verstanden habe, weil jeder seinen Teil machen musste, dass die Corona-Krise gut geht. Aber wenn dann unser Bundeskanzler einen Auftritt liefert und ich nicht auftreten darf und mich an Regeln halte und er nicht mal zugibt, einen Fehler gemacht zu haben, habe ich eine richtige Wut und fühle mich verarscht.

Berufswunsch als Kind

Ich habe nie einen Berufswunsch gehabt. Ich habe immer gewusst, ich will die Matura machen. Ich habe gewusst, um dort rauszukommen, wo ich herkomme, muss ich fleißig in der Schule sein.

Wen würdest du gerne einmal treffen?

Meine beiden Opas. Beide sind vor meiner Geburt gestorben. Das finde ich schade, und ich vermisse, dass ich keine Großväter gehabt habe. Es würde mich interessieren, wie es bei meinen Großvätern im Krieg war. Weil man von Erzählungen halt nicht weiß, was davon wahr ist. Vor allem von einem Opa würde mich das sehr interessieren, weil der nicht eingezogen worden ist. Der war sehr rebellisch und hat fotografiert. Er hat Fotos von Fahnen fotografiert und die Hakenkreuze wegretuschiert.

Teenie-Schwarm

Kurt Cobain

Kaffeehaus-Bestellung

Cola light

Ort des Interviews

Café Eiles
Das Café Eiles gilt als eines der ältesten Kaffeehäuser Wiens. Eröffnet, noch unter anderem Namen, hat es im Jahr 1840. Den heutigen Namen trägt es bereits seit 1901. 2015 übernimmt es der Kärntner Gastronom Gert Kunze. Nach der Renovierung erblüht es in altem Charme, aber neuer Frische, und vor allem mit einem enthusiastischen Team. Durch die Nähe zum Wiener Rathaus, dem österreichischen Parlament sowie dem Burgtheater kann es durchaus vorkommen, dass in der Nachbarloge Politiker, Journalisten oder Theaterschauspieler Platz nehmen. Aber auch sonst besticht das Café durch die Vielfalt seiner Gäste — Stammgäste, Touristen, Singles, Paare, Familien oder Studentengruppen geben sich die Klinke in die Hand.

Bildergalerie

zur Verfügung gestellt von Diana Köhle / Copyright by Anna Konrath