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Im Gespräch mit Tierärztin Julia Wegmann
 
       
       
Julia Wegmann

Tierärztin

Leben
28.05.2021
Die gebürtige Kärntnerin Julia Wegmann ist Tierärztin mit eigener Praxis im Wiental. Zuvor hat sie zehn Jahre in zwei Tierkliniken in Wien und Niederösterreich gearbeitet. Ihr Angebotsspektrum umfasst Impfungen, Ultraschall & Röntgen, Innere Medizin, Geriatrie, chirurgische Eingriffe, Zahnmedizin, Ernährungsberatung, Reisemedizin und Homöopathie.

Im Part des Wordraps nach dem eigentlichen Interview frage ich meine Interviewpartner unter anderem immer nach ihrem Berufswunsch, den sie als Kind hatten. Viele nennen den Beruf des Tierarztes, niemand davon wurde es im Endeffekt. Warum sind Sie es geworden?

Weil ich es unbedingt wollte.

Bereits als Kind?

Tiere und Meeresbiologie haben mich immer schon interessiert. Meeresbiologie ist es aus finanziellen sowie aus regionalen Gründen nicht geworden. Ich habe immer schon mit Tieren gelebt und mich um sie gekümmert. Es war für mich also klar, dass ich in dem Bereich später einmal arbeiten werde.

Michael Häupl war ursprünglich auch Meeresbiologe und ist dann Bürgermeister von Wien geworden.

(lacht) Vielleicht werde ich ja noch irgendwann einmal Bürgermeisterin. Nein, es war tatsächlich immer schon so, dass es klar war, dass es für mich in den naturwissenschaftlichen Bereich geht und ich mit Tieren zu tun haben werde. Ich habe immer drunter gelitten, wenn Tiere krank waren, und musste immer schon etwas dagegen tun. 

Egal um welches Tier es sich gehandelt hat? Auch bei Fliegen, die von den Eltern erschlagen wurden, haben Sie gelitten?

Ich konnte tatsächlich keine Insekten töten. Meine Großeltern hatten Schweine und die wurden geschlachtet. Das war schlimm für mich!
Tierärztin Julia Wegmann im Interview

Warum, glauben Sie, werden Kinder, sobald sie erwachsen sind, doch nicht Tierärzte, obwohl sie es jahrelang zum Wunsch hatten?

Vielleicht weil viele glauben, dass Tierliebe alleine ausreicht, um Tierarzt zu werden. Manchmal muss man einem Tier wehtun, um zu helfen. Es wird manchen dann wahrscheinlich bewusst, dass es nicht nur darum geht, ein Tier zu streicheln. Viele wollen ja nur Tierarzt werden, weil sie Tiere lieb haben. Das alleine ist aber zu wenig, um diesen Beruf zu wählen. Wenn man so weit ist und sich über das Studium informiert, wirkt das für viele abschreckend, weil es lange dauert und schwer ist. Man muss auch Dinge tun, die nicht so schön sind, wie zum Beispiel ein Praktikum auf einem Schlachthof absolvieren. Man muss auch Eingriffe an Tieren machen, die schmerzhaft sind. Auch damit muss man umgehen können.
»Manchmal muss man einem Tier wehtun, um zu helfen«

Wie geht’s Ihnen damit? Sie haben vorhin gerade gesagt, dass es schrecklich für Sie war, dass die Großeltern Schweindln geschlachtet haben. Nun sind Sie selbst damit konfrontiert, Tiere manchmal einschläfern zu müssen.

Das tut weh, weil es sich um eine ganz schwierige Situation handelt. Im Regelfall ist es allerdings so, dass man ein Tier einschläfert, weil es leidet. Weil es nicht mehr zu therapieren ist und es Schmerzen hat. Damit ist es bei einem Großteil der Euthanasie-Fälle so, dass man weiß, das Tier zu erlösen, weil es dann keine Schmerzen mehr haben wird. In gewisser Weise ist es ein Akt der Hilfe und eine Verantwortung, die man damit ausübt. Die Situation ist enorm schwierig. Ich sehe das Leid des Tieres und versuche auszublenden, was ich in dem Moment mache. Trotzdem weiß ich, dass es meine Aufgabe ist, das zu machen. Und sie zählt sicherlich zu den schwierigsten, die man als Tierarzt zu machen hat.

Wenn Sie sagen, dass es sich dabei um eine Erlösung und um einen Akt des Helfens handelt: Sind Sie für die aktive Sterbehilfe beim Menschen?

Ganz ein schwieriges Thema. Ich persönlich bin der Meinung, dass es in der Situation dem jeweiligen Menschen überlassen sein sollte. Wenn er gehen möchte, soll er das Recht haben, zu gehen.
Im Interview: Tierärztin Julia Wegmann

Auch ich hatte als Kind, so wie viele, den Wunsch, Tierarzt zu werden. Wissen Sie, wie mir mein Vater den Beruf ausgeredet hat? Er meinte: »Du musst Tiere einschläfern, wirst ab und an von einem Hund gebissen, und manchmal wird dein Arm bis zum Ellbogen im Anus von Kühen oder Pferden verschwinden.«

(lacht) Ja, stimmt!

Wie oft ist man mit solchen Situationen konfrontiert? Wie oft ist Ihr Arm schon im Anus verschwunden?

Mittlerweile verschwinden meine Arme nicht mehr, weil ich nur noch mit Kleintieren arbeite, da passen sie nicht hinein. (lacht) Aber es stimmt schon, auf der Uni und während meiner Praktika habe ich auch das gemacht. Man muss damit leben und es gibt wirklich Dramatischeres. Jedermanns Sache ist es aber sicher nicht. Man hat schon mit vielen grausigen Dingen zu tun. In dem Beruf arbeitet man mit Fäkalien, man muss Kot-Untersuchungen machen, man sieht Abszesse und ist intensivsten Gerüchen ausgesetzt – das alles ist nicht wahnsinnig schön! Aber: Das hat mich nie abgeschreckt und ich habe mich auch nie davor gescheut! Auch gegraust hat mir nie davor. 

Bevor man Veterinärmedizin studieren möchte, sollte man tatsächlich bei einem Tierarzt ins Thema reinschnuppern. Einfach um zu sehen, ob man das schafft und ob man damit zurecht kommt oder nicht. In meiner Praxis habe ich immer wieder Schüler und Studenten, die danach sagen, dass der Beruf nun für sie erledigt ist. 

Zu den Bissverletzungen: Kommt vor, passiert aber eher selten. Katzen sind meist sogar heftiger als Hunde. In der Regel weiß man, wie man mit dem Tier umzugehen hat und wie weit man in welchen Situationen gehen kann. Aber gut, Verletzungen hat man in anderen Berufen auch. Wenn man Tischler oder Bauarbeiter ist, kann man sich auch die Finger abschneiden.
»In meinem Beruf arbeitet man mit Fäkalien, sieht Abszesse und ist intensivsten Gerüchen ausgesetzt«

War jemals der Wunsch vorhanden, Menschenärztin zu werden?

Nein, nie. Ich kann keine Menschen impfen, auch wenn wir das während des Studiums untereinander gemacht haben. Ich habe ein massives Problem damit, Menschen zu stechen.

Woran liegt das?

Menschen stechen und Blut abnehmen ... ich weiß nicht, vielleicht kann ich es nicht, weil ich direkt in die Haut stechen würde, ohne dass Fell dazwischen wäre. (lacht) Auch vom Wissenschaftlichen und vom Umgang her interessiert mich das Tier mehr als der Mensch. Ist einfach so. Humanmedizin wäre für mich nicht das Richtige gewesen.

Sie haben über zehn Jahre in zwei Tierkliniken gearbeitet und besitzen ihre eigene Praxis. Bei Hunden, Katzen und Meerschweinchen können sich die meisten noch vorstellen, was beim Tierarzt passiert. Aber wie verhält es sich bei Fischen, Spinnen oder Schlangen?

Da geht man eher zu Spezialisten. Fische behandle ich gar nicht. Dazu gibt es eigene Fisch-Tierärzte oder man fährt damit auf die Uni. Auch bei exotischen Vögeln gibt es eigens spezialisierte Tierärzte, weil es sich um andere Erkrankungs- und Therapieformen handelt. Auch das Narkoseschema ist ein anderes. 

Als ich in den Tierkliniken gearbeitet habe, hatten wir zum Beispiel – selten, aber doch – mit Pythons oder Sumpfschildkröten zu tun. Wenn jemand Tiere wie Schlangen oder Bartagame hat, geht es meist darum, etwas Außergewöhnliches zu besitzen und das auch zu zeigen. Die Tiere sind schön zu beobachten, rein vom Verhalten her. Und man hat weniger Aufwand als mit einem Hund. Den muss man beschäftigen und man muss Gassi gehen.

Das heißt, Schlangenbesitzer wollen etwas Besonderes besitzen, um fehlende Teile ihrer Persönlichkeit zu kompensieren, ohne viel Aufwand dabei zu haben, weil sie damit überfordert wären?

Nein, das glaube ich nicht. Da würde man nun etwas unterstellen, was ich nicht möchte. Ich kenne Schlangen- und Bartagame-Besitzer. Die finden die Tiere schön und interessant und haben sich teilweise über Jahre mit diesen Tieren auseinandergesetzt. Es ist einfach ein anderer Bezug dazu.
Im Gespräch: Tierärztin Julia Wegmann

Gibt es Tiere, gegen die Sie Aversionen haben?

Gelsen! (lacht)

Die erschlagen Sie dann also schon.

Die erschlage ich. Ja, das gebe ich ehrlich zu! (lacht) Aber sonstige Aversionen ...

Oder Angst bzw. Respekt?

Sagen wir so: Wenn ich eine Spinne im Zimmer habe, werde ich schon ein wenig unrund. Das brauch ich nicht unbedingt.

Egal, ob groß, klein oder haarig.

Ja, das ist total wurscht. Aber ein Tier, vor dem ich Respekt oder Angst hätte ... nein, das gibt es nicht. Fällt mir jetzt keines ein.

Wenn Sie den Begriff »Kampfhund« hören, was denken Sie?

Furchtbar! Das ist eine Stigmatisierung, die ich ganz furchtbar finde. Eine große Gruppe von Hunden wird damit in eine Ecke gedrängt, in die sie vom Charakter her eigentlich nicht hingehören. Es geht eher darum, wie die Besitzer mit diesen Hunden umgehen. Dadurch sind sie zu dem geworden, was sie dann letztendlich sind. 

Also eher »Kampfmenschen«, wenn es um die Besitzer geht.

Es sind oft auch keine Kampfmenschen. Der Hund hat einen gewissen Charakter, und wenn man sich mit Hund und Charakter auseinandersetzt, weiß man, wie man mit ihnen umzugehen hat und wie sie erzogen gehören. Das schaffen manche Besitzer nicht. Die nehmen sich einen Hund vielleicht nur, weil sie stark wirken wollen und zeigen wollen, jemand zu sein. Auf das Tier gehen sie allerdings nicht ein und dann geht’s halt schief. Manche sind auch darauf aus, dass der Hund scharf gemacht wird. Dann wird es zum Problem. Staffordshire Bullterrier oder Bullterrier sind meist die Rassen, die in diese Kategorie fallen. Ich kenne aber auch genug dieser Hunde, die irrsinnig liebe und ruhige Familienhunde sind. Die sind sogar ziemlich verhaltensfest. Wenn sie in die falschen Hände kommen, sind sie gefährlicher und haben eine andere Bisskraft.

Ganz etwas anderes: 1920 wurde der fiktive Charakter des Doktor Dolittle mit der Publikation eines Kinderbuchs geschaffen. Seitdem gab es zig Verfilmungen und Serien zum weltbekannten Arzt, der mit Tieren spricht. Gibt es eine Version, die es Ihnen besonders angetan hat, oder ist Ihnen Doktor Dolittle herzlich wurscht?

Der ist mir wurscht und er war mir immer schon wurscht – auch schon als Kind! Auch diese ganzen Tierarztserien von früher haben mich nie angesprochen.

Zum Abschluss: Wenn Sie ein Tier wären, welches wäre es?

Meine Tochter sagt immer: Ein Wal, der ruhig durchs Meer gleitet. (lacht) Ich selbst sehe mich als Löwin.

Warum?

Eine Löwin sorgt fürs Rudel. Sie kämpft, wenn es sein muss, und stellt sich vorne hin. Sie kann aber auch genießen und total entspannen.

Lieblings-

Buch: Stadt der Blinden (José Saramago) 
Song: Rock ’n’ Roll Suicide (David Bowie) 
Schauspieler/in: Habe ich nicht.
Motto: Das Jetzt und den Moment genießen. 
Autor/in: Margaret Atwood
Serie: Ich hab weder einen Fernseher noch Netflix. 
Stadt: New York
Land: Südafrika
Gericht: Suppe, Salat
Getränk: Kaffee, Soda-Zitrone

Persönliches Mitbringsel

Eine Single von David Bowie. Ich höre ihn gerne, er hat mir immer gut gefallen, und er begleitet mich nun doch schon über einen längeren Zeitraum. Auf der einen Seite der Platte ist »Rock ’n’ Roll Suicide« von der Ziggy-Stardust-LP oben. Wenn ich mir das anhöre, geht es mir gut, egal wie schlecht es mir davor gegangen ist. Auf der anderen Seite ist »Quicksand« vom Album »Hunky Dory«, der zweiten wichtigen Platte in meinem Leben.

Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche

Schönstes: Ich wurde geimpft und habe davor mit einer Kundin darüber gesprochen. Kurz bevor ich an dem Tag die Praxis zugesperrt habe, ist sie wiedergekommen und hat mir Schmerzmittel und einen Magenschutz gebracht. Sie meinte, dass manche Leute nach der Corona-Impfung Fieber und Kopfschmerzen bekommen, und wollte mir damit helfen. Zusätzlich hat sie mir angeboten, dass ich mich bei ihr melden kann, sollte es mir danach schlecht gehen. Sie wusste, dass ich alleinerziehend bin und, wie sie, eine Tochter habe. Das war menschlich wirklich ganz toll!

Negativstes: Was wirklich Dramatisches ist nicht passiert. Ich habe mir einen neuen Herd gekauft, der dann gleich kaputt war. Daraufhin habe ich mir eine kleine Kochplatte gekauft, um zumindest Kleinigkeiten und Kaffee kochen zu können.

Berufswunsch als Kind

Meeresbiologin

Wen wollten Sie immer schon einmal treffen?

Meine Großtante Frieda. Ich kannte sie nicht. Sie war eine außergewöhnliche und selbstbewusste Frau. Die ist alleine durch die Welt gereist und hat gemacht, was sie wollte. Ansonsten waren in unserer Familie alle mit Handwerksberufen zu Hause. Die Frauen waren Hausfrauen und Mütter. Und die Großtante Frieda hat auf all das gepfiffen. Die war draußen und hat die Welt kennengelernt – und das zu Zeiten, in denen das noch nicht normal war. Die hätte ich gerne mal getroffen und sie gefragt, wie es ihr damit so gegangen ist, wie sie sich von allem losgelöst hat und warum sie das gemacht hat.

Teenie-Schwarm

David Bowie und Nena

Café-Bestellung

Wiener Melange

Ort des Interviews

Glacis Beisl
Das Glacis Beisl befindet sich direkt hinterm MuseumsQuartier im siebenten Bezirk in Wien. Geboten werden gehobene Wiener Küche sowie österreichische saisonale Spezialitäten. Wenn man noch nicht im Glacis Beisl war, kann man straßenseitig schnell daran vorbeilaufen, da es sich relativ versteckt Stufen abwärts befindet. Doch hat man den Weg in den schicken Gastgarten einmal gefunden, lädt die gemütliche Atmosphäre zum Verweilen bis spät in die Nacht ein.