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Vera Tondl im Gespräch vor ihrem Würstelstand
 
       
       
Vera Tondl

Würstelstandbetreiberin

Gesellschaft
23.12.2020
Vera Tondl betreibt mit dem LEO Würstelstand am Döblinger Gürtel 2, direkt bei der U6-Station Nußdorfer Straße, Wiens ältesten Würstelstand. Gegründet wurde er von ihrem Großvater im Jahr 1928, Vera Tondl hat ihn 1991 übernommen. Seitdem wird der Würstelstand in 3. Generation weitergeführt; er hat mittlerweile über 90 Jahre am Buckel.

Wien und Würstelstand gehören zusammen wie ein Paar Schuhe. Da euer Würstelstand 1928 der erste war, war das allerdings nicht immer so. Kannst du etwas über die Anfangsjahre erzählen?

Anfangs hat es keinen fixen Stand gegeben, sehr lange sogar nicht. Es gibt ein Foto von meinem Großvater, auf dem er ein Leiterwagerl zieht. Das war wirklich ganz am Anfang! Mit der Zeit hatte er dann eines mit Rädern. Der hat ein bisschen ausgesehen wie ein »ganz moderner« Foodtruck! (lacht) Wir hatten also schon einen Foodtruck, bevor es so etwas überhaupt gegeben hat. Den haben wir dann immer in den Hof reingeschoben, weil er in der Nacht nicht draußen sein durfte. Hoch war er nur 1,70 Meter. Als ich dann schon übernommen hatte, habe ich bei Bewerbungsgesprächen immer gefragt, wie groß jemand ist. Wenn jemand größer war, hab ich immer abgelehnt mit den Worten »Sie sind zu groß!« (lacht)

Im Unterschied zu heute hat es außerdem deutlich weniger Angebot gegeben. Nur Frankfurter, Debreziner und Burenwurst, aber Leberkäs zum Beispiel hat es nicht gegeben. Getränke gab es auch nicht. Das durften wir nicht und kam erst viel später, bei meinem Vater dann. Von den Gästen her waren es am Anfang eher die Arbeiter, später in den 50er und 60er Jahren, kamen auch schon die Party People.
»Mit zwei kleinen Kindern hätte ich zur damaligen Zeit, die noch deutlich sexistischer war, nur Jobs um 600 Schilling bekommen«

Wie war es für dich, 1991 den Familienbetrieb in 3. Generation zu übernehmen?

Schrecklich! (lacht) Ich wollte – wie es halt so ist – nie das machen, was die Eltern machen. Alles, nur nicht Gastronomie! Das war ja das Letzte für mich. Lehrerin wollte ich werden, das war der Ursprungsgedanke. Die hatten weder Samstag noch Sonntag Arbeit und mehrere Monate Ferien. Das war halt geregelt. So hab ich mir das vorgestellt. Aber, was ist passiert? Klassiker: Ich habe meinen Mann kennengelernt und bin schwanger geworden. Eh klar. Daher: Studium, tschüss!

Mit zwei kleinen Kindern hätte ich zur damaligen Zeit, die noch deutlich sexistischer war, nur Jobs um 600 Schilling bekommen! Da hätte die Schule mehr gekostet. Ich bin dann also zu Kreuze zu meinem Vater gekrochen. Ich wusste, dass ihm der Würstelstand damals auf die Nerven gegangen ist, da er zur damaligen Zeit auch ein Kaffeehaus hatte. Mein Ziel war es dann, den besten Würstelstand Wiens zu haben. Ich habe mir immer wieder neue Sachen überlegt, um nicht nur die Standardprodukte anzubieten.

Gerade in den letzten zwei Jahrzehnten hat der Würstelstand mehr Mitbewerb bekommen – Burger, Kebab, Nudeln, Bagels und so weiter. Ist der Würstelstand damit nur noch einer von vielen Standln, und vielleicht sogar ein Auslaufmodell? Sozusagen der nostalgische Fiaker der Gastronomie, der irgendwann nur noch für teures Geld von Touristen besucht wird?

Nein, überhaupt nicht! Also, bitte!

Ich sag dir jetzt einen Satz von meinen jungen Gästen, die sagen: »Kein Fortgehen ohne Leo!« Ist so! Und ganz ehrlich: Wo bekommt man um drei Uhr in der Früh in Wien was G’scheits zum Essen? Eben, viel Spaß! Wir haben erstklassige Ware und die Preise bleiben bei uns Tag und Nacht dieselben. 

Bei welcher Altersgruppe wir uns schwer tun, sind die Kinder. Die wollen lieber zum Mäci, weil sie dort Geschenke bekommen. Aber ab der Gymnasiumszeit kommen die Jugendlichen auch zu uns. Zugegeben, eher die Burschen. Wobei in der Nacht auch die Mädels zu uns kommen. Da staune ich dann immer, wenn ein kleines, dünnes Mäderl eine riesige Käsekrainer isst! 

Also nein, Auslaufmodell ist der Würstelstand sicherlich keines! Für mich sind das Auslaufmodell eher die Nudeln. Die waren einige Zeit total »in«, was wieder abgenommen hat. Weggenommen haben die uns aber auch nicht wirklich was. Insgesamt ist der Kuchen ja auch größer geworden. Früher hat es zu Hause ein Mittag- und Abendessen gegeben. Heute arbeiten mehr Frauen und es gibt mehr Singles. Die, die uns etwas wegknabbern, sind die großen Supermarktketten – vor allem zur Mittagszeit!
Vera Tondl im Gespräch vorm LEO Würstelstand

Wie auch Kaffeehäuser sind Würstelstände Orte der Begegnung. Alle Jahre wieder zum Opernball hört man vom Bitzinger Würstelstand, dass der Opernballgast im Frack genauso bei ihm einkehrt wie der Obdachlose, der sich einfach ein Bier abholt. Wie ist das bei euch hier am Döblinger Gürtel?

Ist bei uns ganz genauso, da gibt es keinen Unterschied. Bei uns kommen die Ärzte vom AKH genauso und holen sich etwas, wie ein Obdachloser aus der Nähe. Und in der Nacht spielen sich natürlich auch immer wieder lustige Szenen ab. Die Leute werden dann ja stündlich g’scheiter. (grinst) Und zur Zeit vom Neustifter Kirtag ist natürlich auch viel los. Dann zählen auch Politiker zu unseren Gästen.

Gibt’s dazu vielleicht die eine oder Anekdote zu erzählen?

Bruno Kreisky hat sich von seinem Chauffeur am Weg nach Hause etwas abholen lassen, weil er meinte, dass er nach einem Bankett etwas Ordentliches zum Essen braucht. (lacht) Dann hat er die Würstel am Heimweg im Auto gegessen. Franz Vranitzky war immer wieder mal hier und hat nach Kinobesuchen mit seinen Enkerl etwas bestellt. Der Lugner war bei uns und einige andere auch. Mir geht’s aber gar nicht so darum, wer kommt, sondern dass sich die Leute bei uns glücklich fühlen. 

Als Zuagraster hört man immer wieder von der klassischen Würstelstand-Bestellung: »A Eitrige mit an Bugl und an Gschissanen, an 16er-Blech und an Krokodü.« Übersetzt: Eine Käsekrainer mit Brotscherzerl und Senf, einem Bier und einem Gurkerl. Wie oft hört man solcherlei Bestellungen tatsächlich?

Gar nicht. 

Hat man die jemals gehört, früher irgendwann mal?

Na ja, es ist eher so, dass jeder seine eigenen Bestellungen hat. Wenn unser Stammgast sagt, er will ein Menü, bekommt er eine Gösser-Dose und einen Jägermeister. Den Satz von vorher, den haben die Piefke erfunden. 

Hast du eine Erklärung, warum bei uns Frankfurter mit Senf und Semmel, in Deutschland hingegen die Currywurst mit Ketchup der Renner ist?

Der Deutsche ... Entschuldigung ... der isst das Schnitzel mit Saft. Was willst von dem? Also ehrlich, das geht ja wirklich nicht. Aber natürlich hat jeder so seine Geschmäcker. Südländer essen lieber scharf, daher haben wir auch Chili-Sauce zur Auswahl. Jugos bestellen bei uns meist mit viel Mayonnaise, weswegen wir heute mehr Mayonnaise benötigen als früher. Manche mögen gerne Knoblauch zu ihrer Bestellung. Welche Wurst es zum Beispiel nur bei uns in Österreich gibt, ist die Käsekrainer.
Vera Tondl im Gespräch vor ihrem LEO Würstelstand

Was ist deine persönliche Lieblingsbestellung?

Frankfurter-Einspänner, süßer Senf, Gurkerl und Brot.

»Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei«, sagt ein altes Sprichwort. In diesem Sinne zum Abschluss unseres Gesprächs: Was macht die perfekte Wurst aus?

Es fängt bei der Haut – mein Lieblingsthema – an. Die muss knacken! Sie darf nicht zu weich sein, weil sonst platzt die Wurst. Sie darf aber auch nicht zu hart sein, weil man sie sonst nicht runterbekommt. Das Brät muss aus einem sehr guten Fleisch sein und nicht aus den Resten, aus dem Müll, wie das manche Fleischer machen. Für die aktuelle Generation darf es nicht zu fett sein. Das war in der Kriegsgeneration anders. Da mussten ordentliche Fettbröckerl drinnen sein, weil sie Hunger hatten. Wenn du das heute Gästen servieren würdest, was mein Opa noch verkauft hat, wird dir das zurückgeschmissen. Und die Gewürze sind natürlich entscheidend, wie der Käse bei der Käsekrainer. Der darf weder zu dick noch zu dünn sein. Und: Die beste Wurscht bringt dir nix, wenn du einen grindigen Senf hast. Ein schlechter Senf haut dir auch eine gute Wurscht zamm. Und wenn du eine gute Wurst und einen guten Senf hast, daneben aber ein schlechtes Brot, hilft alles nix. Die drei Sachen müssen alle gut sein.

Lieblings-

Buch: Die sieben Schwestern (Lucinda Riley) 
Film: Dirty Dancing
Song: Samba Pa Ti (Santana) 
Schauspieler/in: Meryl Streep
Motto: Ohne Schmäh geht goa nix!
Autor/in: Das ist ganz verschieden, ich lese quer durch die Bank. 
Serie: Loser
Stadt: Singapur
Land: Südafrika
Gericht: Schweinsbraten
Getränk: Gin Tonic

Persönliches Mitbringsel

Wir haben Berggorillas in 3.000 Metern Höhe besucht. Dort oben war es heiß! Hitze in der Höhe habe ich als Österreicherin nicht erwartet. Wir hatten einen Anstieg von drei Stunden und durften eine Stunde oben bleiben, damit sie sich nicht zu sehr an die Menschen gewöhnen. Es war lustig zu beobachten. Die waren wie wir Menschen. Die Mama mit ihrem Baby, das gesäugt wurde. Der Opa und der renitente Jugendliche, der sich wichtiggemacht hat. Da dachte ich mir: »Na ja, viel anders als bei uns ist das auch nicht.« (lacht)
Zertifikat vom Besuch bei den Berggorillas

Schönstes und negativstes Erlebnis der vergangenen Woche

Schönstes: Ich habe mit meiner 88-jährigen Mama, der es noch sehr gut geht, ein Flascherl gekippt. Das war wirklich schön!

Negativstes: Jemand vom Marktamt war hier, der mich derart schlecht behandelt hat, dass es mir gerade schwer fällt, darüber zu reden, so sehr ärgert mich das noch. Gerade in der jetzigen Zeit, in der du dich anstrengst, um zu überleben, kommt der daher und quält mich mit aufgesprungen Fließen und lauter Blödsinn. Ich bin sehr emotional und habe mich so geärgert, dass er dann meinte, dass er mit mir nicht mehr redet, sondern nur noch mit meinem Sohn, der Gott sei Dank, dabei war. Da dachte ich mir, dass mein Berufsleben genauso endet, wie es begonnen hat. Die letzten 40 Jahre hat sich genau gar nichts geändert. Das ist wirklich schlimm und letztklassig, wenn man als Frau zu hören bekommt, dass es negativ ist, Emotionen zu zeigen. Wenn mir ein junger Typ dann sagt, dass ich emotional bin, sag ich ihm, dass er nicht mal hier wäre, wenn keine Emotionen im Spiel gewesen wären.

Berufswunsch als Kind

Lehrerin

Wen wolltest du immer schon einmal treffen?

Ich will die Welt sehen. Da jetzt aktuell aber alles zusammengehaut wird, werden wir das nicht mehr schaffen. Mir geht es darum, andere Menschen in anderen Ländern kennenzulernen. Mein Mann und ich sind immer viel gereist. Wenn man reist und Leute kennenlernt, dann siehst du Frauen, die auch Kinder haben, und die haben die gleichen Probleme wie du selbst. Das interessiert mich viel mehr als irgendwelche Persönlichkeiten, die dann vor mir wahrscheinlich eh nur ihre Rolle spielen. Da kann ich’s mir gleich weiter im Fernseher anschauen.

Teenie-Schwarm

Ich weiß nicht mehr, wie er geheißen hat. Es ist jedenfalls nichts mit ihm geworden. (lacht) Wer mir sehr gefallen hat: Terence Hill! Und Richard Dean Anderson, der Darsteller von MacGyver. Der hat mir auch als Älterer noch gefallen, weil – wie bei Terence Hill – der Schalk zu erkennen ist.

Würstelstand-Bestellung

Frankfurter-Einspänner, süßer Senf, Gurkerl und Brot

Ort des Interviews

LEO Würstelstand
Laut eigenen Angaben ist der LEO Würstelstand der älteste Würstelstand Wiens. Gegründet wurde er von Leopold Mlynek im Jahr 1928. Zu den wohl prominentesten Gästen zählten Bundeskanzler Bruno Kreisky sowie Bundeskanzler Franz Vranitzky. Worauf man besonders stolz ist: eine legendäre Riesenkäsekrainer namens »Big Mama«. Dabei handelt es sich um eine Wurst von einem halben Kilo. Serviert wird die Jumbo-Käsekrainer mit hausgemachten Saucen, Gebäck und pikanten Beilagen. Wem das alleine oder auch in der Gruppe zu viel sein sollte, der kann aus einem Angebot von über 60 Speisevariationen wählen.